Theater Freiburg
ANNE-MARIE DIE SCHÖNHEIT
(Anne-Marie la beauté)
Schauspiel von Yasmina Reza
Übersetzung: Frank Heibert, Hinrich Schmidt-Henkel
Deutsche Erstaufführung: 2. Oktober 2021, Theater Freiburg
Tourneepremiere: 5.Oktober 2021, Scharoun-Theater Wolfsburg
Mit: Robert Hunger-Bühler
1 Darsteller
Regie: Peter Carp (Intendant des Theaters Freiburg)
Bühnenbild: Kaspar Zwimpfer
Kostüme: Gabriele Rupprecht
Uraufführung: 5.3.2020, Théâtre National de la Colline, Paris
Aufführungsrechte: Agentur Rainer Witzenbacher
8. bis 15. November 2023
Termine auf Anfrage
Spieldauer:
1 Stunde und 45 Minuten ♦ es gibt keine Pause
»Beim Schreiben von „Anne-Marie die Schönheit“ dachte ich an den französischen Schauspieler André Marcon. Anne-Marie ist eine Frau, aber aus Gründen der Distanz und Allgemeingültigkeit wünsche ich, dass diese Figur von einem Mann interpretiert wird.« Yasmina Reza
In der Deutschen Erstaufführung übernimmt auf ausdrücklichen Wunsch der Autorin der Schweizer Schauspielstar Robert Hunger-Bühler die Rolle der Anne-Marie.
Yasmina Reza ist eine Meisterin präziser Sätze, in denen sie die Tragik der menschlichen Existenz in schillernder Plastizität sichtbar macht.
Hanser Verlag/Deutschlandradio
„Anne-Marie die Schönheit“ erschien 2019 als Buch im Hanser Verlag München.
Yasmina Reza in Reinform: Bitter und komisch, zärtlich und unsentimental.
Hanser Verlag
Zum Inhalt
Die französische Schriftstellerin Yasmina Reza ist mit ihren ebenso humorvollen wie existenziell tiefgründigen Theaterstücken zu einer international gefragten Autorin geworden. Schon der Titel ihres neuen Werks „Anne-Marie die Schönheit“ ist – wie bei Yasmina Reza üblich – ein hinterhältiges Spiel mit dem Widerspruch zwischen Schein und Sein, ein satirischer Seitenhieb auf den tiefen Spalt, der sich zwischen Wahrheit und Lüge, wirklichem Leben und gewünschter Traumwelt auftut. Anne-Marie ist in ihrem langen Leben vieles gewesen, Schauspielerin, Ehefrau und Mutter, Muse von vielen mehr oder weniger bekannten Künstlern, aber eines war sie bestimmt nie: eine Schönheit, eine Diva, der alle zu Füßen lagen. Wenn sie auf der Bühne stand, und das ist schon sehr lange her, strahlte sie manchmal eine gewisse Schönheit aus, aber im Alltag war sie ein unscheinbares Mauerblümchen, eine ewig zu kurz gekommene Künstlerin, die nie die ganz großen Rollen spielen durfte, die nie die wirklich interessanten Männer abbekam, die nie den Sprung auf die bedeutenden Bühnen der Welt schaffte, sondern sich mit Engagements an kleinen Vorstadt-Bühnen, mit einem langweiligen Gatten und einem spießigen Sohn begnügen musste. Doch gerade weil sie so viel erlebt hat, weil sie die Gebrechen und die Einsamkeit des Alters mit stoischer Würde erträgt, weil sie vielleicht die letzte noch lebende Zeugin einer untergehenden Ära ist, in der das Theater noch ein zentrales Medium der intelligenten Unterhaltung und des intellektuellen Diskurses war und eine sozialpolitisch bedeutende Rolle spielte, ist sie und sind ihre Erinnerungen – so trügerisch und zweifelhaft sie auch sein mögen – ein großer kultureller Erfahrungsschatz. Anne-Marie ist in allen ihren widersprüchlichen Gefühlen und ihren chaotischen Gedanken ein wunderbares Beispiel dafür, dass das Lebensglück nicht unbedingt nur im hellen Scheinwerferlicht und im großen Abenteuer zu finden ist, sondern oft auch in der beruhigenden Routine des Alltags, in den Gewissheiten der überschaubaren privaten Ereignisse. Yasmina Reza hat ein vor Lebenslust strahlendes und – selbst in seinen melancholischen Momenten – herrlich komisches Stück geschrieben, eine leichthändige Lebensbilanz, die man nur allzu gern auf einer Bühne sehen möchte.
Frank Dietschreit, rbbKultur, 24.10.2019, mit freundlicher Genehmigung des Rundfunk Berlin-Brandenburg, RBB.
Bühnenglamour und kleinbürgerlicher Alltag, pralles Leben und Ennui – Anne-Marie ist eine kleine Große ihrer Kunst und grandioses Material für einen Schauspieler.
Pressestimmen
Echtes und erträumtes Leben
Robert Hunger-Bühler spielt diese erzählte Lebensbeichte mal bärbeißig, mal amüsiert, mal böse funkelnd, mal unendlich traurig. (…) Regisseur Peter Carp überlässt seinem Schauspieler das Feld, das ist Solo-Theater in berechneter Perfektion, melancholisch, hochemotional.
ERLANGEN Manfred Koch, Erlanger Nachrichten, 20.10.2023
Der große Robert Hunger-Bühler mit Yasmina Rezas Monolog
Gerade in Frauenkleidern verkörpert der virile Robert Hunger-Bühler anrührend den Zwiespalt in Anne-Maries gelebtem und ungelebtem Leben. Die feinen Dissonanzen, die er setzt, lassen die Brüche in ihrer Biografie umso stärker hervortreten.
LUDWIGSHAFEN Stefan Otto, Die Rheinpfalz, 20.10.2022
Schauspielkunst
Carp wählt die einfachsten Mittel, es sind die richtigen: Schauspielkunst und Schauspielkunst und… Mit dem Schweizer Bühnenkünstler Robert Hunger-Bühler hat er einen schmerzlich um Genauigkeit bemühten Darsteller zur Verfügung, der zum Schauspielen nichts anderes braucht als sein Gesicht, seinen Blick und seine Stimme. (…) Dieser Schauspieler mit dem melodischen, samtenen Timbre in der Stimme, kann etwas sehr Seltenes: Menschen nackt zu machen und ihnen ihr Geheimnis zu belassen. (…) Hunger-Bühler, dieses melancholische Subjekt wie aus dem Lehrbuch, sorgt dafür, dass keine Minute zu viel ist.
SCHLANDERS und BRIXEN Heinrich Schwazer, Die Neue Südtiroler Tageszeitung, 19.10.2021
Robert Hunger-Bühler brilliert
Irgendwann im Verlauf der eineinhalb Stunden dieses grandiosen Theaterabends vergisst man, dass Robert Hunger-Bühler ein Mann ist, dass er in Frauenkleidern auf der Bühne steht und dass er den langen Monolog einer alten Schauspielerin spricht. (…) In Robert Hunger-Bühler (fand sich) ein (…) kongenialer Interpret für diesen Monolog und die hinreißend traurig stolze Figur, dem Yasmina Reza die deutsche Erstaufführung anvertraute. (…) Er versucht (…) nicht, die Illusion zu erwecken, es stehe eine Frau auf der Bühne, Rock und Bluse sind keine Travestie, nur die Andeutung einer Verschiebung der Identität. Darum bleibt der Abstand zwischen ihm und der Rolle gerade dort am schmerzhaftesten gegenwärtig, wo er zu verschwinden droht. Es ist diese feine Dissonanz, die unsere Sinne schärft für die großen Dissonanzen im Leben der Frau und in den Weisen, wie sie davon erzählt. (…) Allein Robert Hunger-Bühlers melancholischer Blick, seine fahrigen Hände und die Stimme, die sich in kurzen Momenten der Erregung überschlägt, halten die Wunde offen, die Anne-Maries Leben ist. (…) Er spielt, als sei es die Rolle seines Lebens. Als würden darin auch seine Ängste und seine Nachtmahre beschworen. Es kommt darin, jenseits von Mann und Frau, jenseits von Misserfolg und Erfolg am Theater, etwas elementar Menschliches zum Ausdruck. Die Angst vor dem Tod vielleicht, die Verlassenheit und Einsamkeit des Alters.
VILLINGEN-SCHWENNINGEN Roman Bucheli, NZZ, 15.10.2021
„Anne-Marie die Schönheit“ mit Robert Hunger-Bühler als Idealbesetzung
Dank des hervorragenden Darstellers wurde man Zeuge großer Schauspielkunst.
VILLINGEN-SCHWENNINGEN (garai), Südwest Presse, 15.10.2021
Große Kunst in feinen Nuancen
Robert Hunger-Bühler entwickelt (…) einen eigenartigen Schwebezustand, der den Abend trägt. (…) Er nimmt die Steilvorlage des Textes auf und macht daraus ein Fest der Schauspielkunst. Konzentriert kostete er den Text aus, wägt ab und lässt Deutungsmöglichkeiten erahnen. Er gestaltet die Anne-Marie aus kleinen, zarten Bewegungen und fordert damit das Publikum zum genauen Hinsehen und Hören heraus. Wunderbar, wie er seine Figur mit einem Abendkleid spielen lässt und dem fließenden Stoff ein Eigenleben gibt. (…) „Anne-Marie die Schönheit“ (ist) auch eine Hommage an die Kraft des Theaters. Der großartige Robert Hunger-Bühler machte daraus eine subtile Lehrstunde der Schauspielkunst.
DUISBURG Gerd Bracht, Neue Ruhr Zeitung, 09.10.2021
Schauspieler Robert Hunger-Bühler überzeugte
Es war ein anrührender Abend, den Robert Hunger-Bühler unter der Regie von Peter Carp eher leise gestaltete. Umso mehr wirkten die wenigen aufbrausenden Momente. Dass da ein Mann stand, der eine Frau spielte, rückte sehr schnell komplett in den Hintergrund. (…) „Anne-Marie die Schönheit“ ist ein leicht satirischer, manchmal tiefgängiger und gelegentlich humorvoller Blick auf die schauspielernde Person an sich.(…) Dank der beeindruckenden Leistung Robert Hunger-Bühlers, der den langen Monolog (…) mehr als 100 Minuten lang hielt.
WOLFSBURG Robert Stockamp, Wolfsburger Allgemeine Zeitung, 07.10.2021
Unbezwinglich zarter Widerspruch des Lebens gegen den Tod
Ein Schauspieler spielt eine Schauspielerin, die an den Tod denkt, und beide gemeinsam treten dabei den Beweis an: Nein, es ist nicht alles lächerlich im Angesicht des Todes, denn der Mensch, der an den Tod denkt, ist nicht lächerlich. Er ist anrührend, mitleiderregend, zerbrechlich. Er ist wie wir. (…) Robert Hunger-Bühler spielt an diesem außergewöhnlichen Abend etwas Wunderbares: einen Menschen, der seinen Träumen nicht übel nimmt, dass sie sich nicht erfüllt haben. (…) Eindreiviertel Stunden große Schauspielkunst.
FREIBURG Hubert Spiegel, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.10.2021
In Freiburg beweist das Theater seine Relevanz mit großer Schauspielkunst.
FREIBURG Annette Hoffmann, Badische Zeitung, 04.10.2021
Schauspielerische Steilvorlage
Kaspar Zimpfers Bühnenbild setzt den Ton für Peter Carps Inszenierung von Yasmina Rezas „Anne-Marie die Schönheit“: Konzentration auf das Wesentliche – Text und Schauspielkunst. Mit vier Glaskästen ist der abblätternde Charme der großbürgerlichen Stadtwohnung einer alternden Diva in Paris zur Genüge beschworen – den Rest macht Robert Hunger-Bühler als Anne-Marie. (…) Sie ist die letzte, die noch erzählen kann, aber wer will zuhören? Die Interviewer sind auch eher eingebildet als real anwesend. Es bleibt der Monolog. Für einen Schauspieler von der Qualität eines Robert Hunger-Bühler eine Steilvorlage, die er mit Bravour nutzt. Seinem eigenen Anspruch, der Gefahr zu entgehen, »dass der Hunger-Bühler eine Frauenstudie oder eine Travestie spielt« oder die Rolle mit eigener biografischer Psychologisierung zu befrachten, wird er großartig gerecht. Es ist auch in Freiburg so, wie Hunger-Bühler es bei der Uraufführung in Paris mit André Marcon als Anne-Marie gesehen hat und ihn das Programmheft zitiert: »Nach 10 Minuten hatte man völlig vergessen, dass die Rolle von einem Mann gespielt wurde.« Und all die wunderbaren Details, die er in sein Spiel einbaut – dem schaut man gerne die eindreiviertel Stunden zu, in denen Anne-Marie sich von Hölzchen auf Stöckchen vertüddeln darf. Regisseur Carp lässt ihm den Raum, aus der ewigen Nebenrolle eine beeindruckende Hauptrolle zu machen. Und das funktioniert hervorragend, das Stück ist eine Art Hochamt des Bühnenhandwerks. Ein Text, der Dank der Übersetzung von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel auch im Deutschen wie ein Glas Champagner über seine Untiefen hinwegperlt.
FREIBURG Jürgen Reuß, nachtkritik.de, 02.10.2021
zur Pariser Uraufführung
Dieser bewegende Monolog in Form eines Lobgesangs auf diejenigen Theaterschaffenden, die nicht im Rampenlicht stehen, ist mittlerweile die fünfte Zusammenarbeit von André Marcon und Yasmina Reza. (…) Rezas Text ist subtil und vermeidet die Maßlosigkeit. Wir schmunzeln eher, als dass wir lachen; wir fühlen uns nachhaltig gerührt, ohne in einem Tränenstrom zu versinken, den die Schilderung von katastrophalen Rückschlägen im Leben von Künstler*innen (beispielsweise in der Skandalpresse) oft heraufbeschwören.
PARIS Catherine Robert, la terrasse, 08.03.2020
„Anne-Marie die Schönheit“ – eine ergreifende Lebensskizze
Anne-Marie spricht für all diejenigen, die das Theater zum Leben erwecken; trotz aller Enttäuschungen und allen Kummers hat sie nie aufgehört, es zu lieben. Es treiben sie weder Groll noch Bedauern. Sie weiß, dass sie am Ende ihres Lebens angekommen ist und zeigt gleichermaßen Boshaftigkeit und Zerbrechlichkeit, Humor und Liebe, Dankbarkeit und Ernüchterung. Während sie sich an einen Journalisten/eine Journalistin zu wenden scheint (genau werden wir das nie erfahren), erlebt sie in ihrer Erinnerung erneut einige große Momente ihres Lebens (…). (…) Den großartigen Text von Yasmina Reza zeichnet eine umfassende Fluidität aus, eine rührende Nostalgie und eine Achtung für die Bescheidenen, die andere mit ihrer echten Menschlichkeit überwältigen – ganz ohne Effekthascherei und Übertreibung, einfach mit Harmonie und Gleichgewicht. Mit Hilfe ihrer Heldin hinterfragt Reza die Wertigkeit eines Lebens anhand der Träume, die man in dieses Leben hineinprojiziert. Das Ergebnis ist überwältigende Schönheit. Es ist ihre fünfte Zusammenarbeit mit André Marcon, und selten ist Weiblichkeit in ihrer erschütterndsten Form so auf der Bühne zu sehen gewesen.
PARIS Emilie Darlier-Bournat, artistik rezo, 11.03.2020
zum Buch
Die großen kleinen Leben
Yasmina Reza hat ein sicheres Gespür für die feinen Seelenbewegungen der Enttäuschten, die mehr können und wollen, als sie je dürfen und die gezwungenermaßen Frieden schließen mit dem »kleinen Leben«. Anne-Marie war keine außerordentliche Künstlerin, aber Reza fordert resolut Respekt für Existenzen, die einer Liebe lebenslang treu geblieben sind.
Sigrid Brinkmann, NDR Kultur, 07.01.2020
Ein brillant geschriebener Klagegesang über das Älterwerden. Yasmina Reza hat in ihren weltweit erfolgreichen Romanen und Theaterstücken das gesamte Spektrum menschlicher Ängste, enttäuschter Hoffnungen und Verzweiflungen beschrieben. (…) Reza ist eine Meisterin präziser Sätze, in denen sie die Tragik der menschlichen Existenz in schillernder Plastizität sichtbar macht. (…) In dem Monolog einer alternden Schauspielerin liegt eine ganze Welt aus Verbitterung, ungelebtem Leben, zerstobenen Träumen.
Schneidend ironisch. Anne-Marie stammt aus der französischen Provinz. Sie will unbedingt zum Theater, auch wenn sie nicht gerade eine »Schönheit« ist – der Buchtitel ist schneidend ironisch. Was Anne-Marie gern wäre, ist ihre Kollegin Giselle: schön, von Männern umschwärmt, von Regisseuren mit den besten Rollen überschüttet und sogar beim Film erfolgreich. Noch dazu ist sie umgeben von einer Schar Kinder und Enkel – auch das im Gegensatz zu Anne-Marie, die ihren Sohn für missraten hält, und von ihrem Mann solche Sätze sagt: »Ich langweilte mich mit meinem Mann, aber Sie wissen ja, Langeweile gehört zur Liebe dazu.« (…)
Anne-Marie schwankt zwischen Depression und Illusion: »Ich hatte ein glückliches Leben, wissen Sie. Ich hatte ein Filmgesicht« – natürlich weiß sie selbst am besten, dass genau das Gegenteil der Realität entspricht. Darin liegt die Abgründigkeit dieses Textes, der auch die Schattenseiten der scheinbar Erfolgreichen nicht ausspart: Denn auch die bewunderte Giselle verbringt ihre letzten Tage als einsame, von ihrer Familie genervte Diva.
Auch wer Yasmina Rezas Texte – gerade etwa das Ehedrama „Gott des Gemetzels“ – mitunter für zu „well made“, also zu glatt, zu perfekt, zu sehr in gutsituierten bürgerlichen Verhältnissen angesiedelt hält, kann sich diesem einfühlsamen Porträt einer Frau am Ende ihrer geistigen und körperlichen Kräfte kaum entziehen.
„Anne-Marie die Schönheit“ ist ein innerer Monolog voller poetischer Tiefe. Ein brillant geschriebener Klagegesang .
Dirk Fuhrig, Deutschlandfunk Kultur, 29.10.2019
Im Meer der ungeordneten Erinnerungen
Stücke wie „Gott des Gemetzels“ trugen dazu bei, dass Yasmina Reza als weltweit meistaufgeführte zeitgenössische Dramatikerin gilt. Bei (…) „Anne-Marie die Schönheit“ handelt es sich um den Monolog einer betagten Frau, die langsam ihr Erinnerungsvermögen zu verlieren scheint. In ihrem Buch erzeugt Reza einen Bewusstseinsstrom à la James Joyce – dabei macht ihr Instinkt sie zu einer der intelligentesten Autorinnen ihrer Generation. (…). Ab 1998 erweiterte sie ihr Themenspektrum durch Prosa. (…) Bei „Anne-Marie die Schönheit“ handelt es sich um den Monolog einer betagten Frau namens Anne-Marie. Einst war sie Schauspielerin, ist aber nach einer Operation am Knie gehandicapt, läuft am Stock und kann nicht mehr auftreten. (…)In ihrer Jugend sammelte sie Bilder von Brigitte Bardot und klebte sie in ein Album, in dem sie ständig blätterte. Aber auch dadurch wurde aus ihr nicht „Anne-Marie die Schönheit“. (…) Berühmtheiten wie Anton Tschechow, August Strindberg und Samuel Beckett stellten unter Beweis, wie gut das Schauspiel auf der Bühne funktioniert. Und in die Gesellschaft dieser Schriftsteller gehört Yasmina Reza vom Niveau her. Im Wissen um die Theatertauglichkeit ihres Textes sicherte sie sich Aufführungsrechte. (…) Yasmina Reza erweist sich hier einmal mehr als Grenzgängerin zwischen Epik und Dramatik. Beide Gattungen beherrscht die Bestsellerautorin famos, in beiden ist sie zu Hause. (…) Anne-Marie treibt im Meer ihrer ungeordneten Erinnerungen. Ein Gedanke entspringt spontan aus dem anderen. Das Fabulieren folgt keinem logischen Modell, keiner klar definierten Choreografie. (…) Und doch zeichnet sich eine geheime grammatische Ordnung in ihrem Buch ab. Man entdeckt sie ganz schnell, wenn man sich auf den Rhythmus des Textes einlässt.(…) Yasmina Reza beweist hier nicht nur literarischen Instinkt, sondern zeigt sich als eine der intelligentesten Autorinnen ihrer Generation.
Ulf Heise, MDR KULTUR, 23.10.2019
Yasmina Rezas Text ist ein offener Erinnerungsraum, den Anne-Marie noch nicht vollständig aufgeräumt hat und der deshalb verschiedene Deutungen des Gewesenen zulässt.
Dina Netz, SWR 2 Lesenswert, 13.12.2019
Es ist der typisch beiläufige Reza-Tonfall, der auch diesen Erinnerungsmonolog durchzieht.
Ute Büsing, rbb kultur, 01.12.2019
Anne-Marie selbst ist die Erzählerin, sie quasselt sich ohne Punkt und Komma durch ihr Leben, lässt Gründe und Abgründe ihres Dasein aufscheinen, sie verstrickt sich in ein kaum zu entwirrendes Knäuel aus Erfahrenem und Erfundenem, Realität und Traum, aus Wunsch und Wirklichkeit. (…) Ob dieser ebenso bittere wie komische, zärtliche und sentimentale Monolog ein Selbstgespräch ist oder ihre Antworten auf die Fragen von Journalisten und Teile eines fiktiven Interviews sind, bleibt unklar. (…) Anne-Marie ist in allen ihren widersprüchlichen Gefühlen und ihren chaotischen Gedanken ein wunderbares Beispiel dafür, dass das Lebensglück nicht unbedingt nur im hellen Scheinwerferlicht und im großen Abenteuer zu finden ist, sondern oft auch in der beruhigenden Routine des Alltags, in den Gewissheiten der überschaubaren privaten Ereignisse und in den unaufgeregten kleinen Erlebnissen. (…) Ein vor Lebenslust strahlendes und – selbst in seinen melancholischen Momenten – herrlich komisches Buch (…), eine leichthändige Lebensbilanz, die man nur allzu gern auf einer Bühne hören und sehen möchte.
Frank Dietschreit, rbbKultur, 24.10.2019
Biografien
YASMINA REZA
»Sie hat ein lebhaftes Gesicht mit Katzenaugen (…) und den Vornamen einer Prinzessin aus Tausend-und eine-Nacht«, schreibt Marion Thébaud in Le Figaro über die Theater-, Roman- und Drehbuchautorin. Yasmina Reza, Tochter eines in Moskau geborenen, iranischen Vaters und einer ungarischen Mutter, wird 1959 in Paris in eine Künstlerfamilie … mehr
ROBERT HUNGER-BÜHLER
Der Schauspieler mit der nachhaltigen Präsenz hat an vielen Theatern gespielt, von denen er zu Beginn seiner Karriere sicherlich geträumt hat. Für den gebürtigen Schweizer Robert Hunger-Bühler, der neben einer Lehre als Hochbauzeichner seine im Abendstudium absolvierte Ausbildung an der Schauspiel Akademie in Zürich 1974 abgeschlossen hatte, war das natürlich an erster Stelle das Schauspielhaus Zürich… mehr
PETER CARP, Regisseur
Peter Carp wurde 1955 in Stuttgart geboren und ist in Hamburg aufgewachsen. Er studierte in Hamburg und Berlin Kunstgeschichte, Theaterwissenschaften, Publizistik und Medizin. In den 1980er Jahren wurde er unter Intendant Hans Neuenfels Dramaturg an der Westberliner Freien Volksbühne, die sich unter Erwin Piscator (1962–66) zunächst zu einem Haus für politisches Theater entwickelt hatte und unter Kurt Hübner (1973–86) und Hans Neuenfels… mehr