Théâtre National du Luxembourg / Renaissance-Theater Berlin
STAHLTIER
Ein Exorzismus in memoriam Willy Zielke
Schauspiel von Albert Ostermaier
ca. 19. November – 6. Dezember 2025
Mit Jacqueline Macaulay und Wolfram Koch
2 Mitwirkende
Regie: Frank Hoffmann
Bühne: Christoph Rasche
Kostüme: Jansa Bosnjak
Musik: René Nuss
Dramaturgie: Florian Hirsch
Videodesign: Sebastian Pirchner
Spieldauer:
ca.1 Stunde und 20 Minuten. Das Stück wird ohne Pause gespielt.
Bühnentechnische Voraussetzungen für das Gastspiel:
Mindestmaße: Breite: 7 m | Tiefe: 7-8 m + 2 m Vorbühne | Lichte Höhe: 5 m.
Es werden Züge benötigt. Falls es keine Züge gibt, müsste eine Vorrichtung angemietet werden. Falls Sie Fragen haben, rufen Sie uns bitte an.
Uraufführung: 12.3.2024, Théâtre National du Luxembourg
Deutsche Erstaufführung: 4.4.2024 Renaissance-Theater Berlin
Aufführungsrechte: S. Fischer Verlag GmbH, Theater & Medien, Frankfurt am Main.
Inhalt
Mit Fragen der Kunst und der Freiheit des Künstlers in einer Diktatur setzt sich Albert Ostermaier, der zu den meistgespielten deutschsprachigen Dramatikern gehört, in seinem Stück auseinander. Das Stück beginnt 1935 in einem Filmvorführraum des Reichspropagandaministeriums. Illustriert mit historischen Filmausschnitten und Live-Videos, entwickelt sich ein explosiver Machtkampf zwischen zwei großen Manipulatoren sowie die leider wahre Geschichte ihres Opfers. Ein Mann und eine Frau kommen Hand in Hand auf die Bühne. Sie ist die ambitionierte Filmregisseurin Leni Riefenstahl, er ist Joseph Goebbels, der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda. Gemeinsam wollen sie den von ihm verbotenen Tonfilm „Das Stahltier“ ansehen, der zum 100. Jahrestag der Reichsbahn von dem 32-jährigen avantgardistischen Fotografen, Drehbuchautor, Kameramann und Regisseur Willy Otto Zielke gedreht wurde.
Ohne zu ahnen, dass sie bereits im Fokus des nationalsozialistischen Propagandaministers steht, wittert die geltungssüchtige Filmregisseurin durch das Treffen mit Goebbels die Chance, ihre ehrgeizig verfolgte Filmkarriere entscheidend voranzutreiben. Sie lässt sich auf ein gefährliches Spiel mit dem Minister ein, bei dem ausschließlich er die Regeln bestimmt.
Riefenstahl erkennt sofort das außergewöhnliche künstlerische Talent Zielkes (»Zielke ist Filmkunst. Er ist allen anderen Filmschaffenden um Jahrzehnte voraus«) und beschließt, seine innovativen Bild- und Tonmontagen für ihre geplante monumentale Dokumentation über die 11. Olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin zu nutzen, um mit seinem Genie ihre eigene Filmkarriere im Auftrag und zum Ruhme des nationalsozialistischen Regimes aufzubauen. Willy Zielke, der ebenfalls nach filmischem Erfolg strebt, wird zum Spielball und Opfer des dämonischen ‘Duo infernale‘.
Im Prolog des 1938 fertiggestellten, zweiteiligen „Olympia“-Films, der unter den Titeln „Fest der Völker“ und „Fest der Schönheit“ gezeigt wird, verwirklicht er seine Idee, eine Brücke zwischen der antiken und der modernen Olympiade zu schlagen.
Zielke schreibt zum Beispiel Filmgeschichte, als er die berühmte, kurz vor dem Abwurf stehende Diskuswerfer-Statue des griechischen Bildhauers Myron dadurch lebendig werden lässt, dass er dessen Körperhaltung auf die des deutschen Zehnkämpfers Erwin Huber überblendet, der dann den Diskus wirft. Als jedoch fast ausschließlich über seine innovative Arbeit berichtet wird, fühlt sie sich bedroht und entscheidet sich, ihn auszuschalten. Sie verändert den Prolog und streicht Zielkes Namen aus dem Abspann. So skrupellos, wie Riefenstahl die künstlerische Existenz ihres genialen Rivalen ausgenutzt und sich mit seinen Lorbeeren geschmückt hat, genauso skrupellos zerstört sie ihn auch menschlich, indem sie ihn 1937 in eine psychiatrische Anstalt einweisen lässt. Aufgrund der Diagnose Schizophrenie wird er entmündigt und zwangssterilisiert. Als er 1942 entlassen wird, wird ihm, der bis dahin als unheilbar galt, bescheinigt, dass er nie krank gewesen sei.
Als Riefenstahl ihn 1945 als Kameramann für ihren geplanten Film „Tiefland“ benötigt, indem etwa hundert Sinti und Roma aus NS-Konzentrationslagern zwangsrekrutiert als Komparsen mitwirken, holt sie ihn zurück nach Berlin. In dem auf der gleichnamigen Oper von Eugen d’Albert basierenden Propagandafilm, der mit etwa sieben Millionen Reichsmark vom Führer gefördert wurde, spielt sie als 40-Jährige die 14-jährige weibliche Hauptrolle.
2002 wird sie in einem Prozess aussagen, dass sie weder von der Ermordung der Komparsen, für die sie sich einzusetzen versprochen hatte, gewusst habe, noch an der Einweisung Zielkes beteiligt gewesen zu sein.
Der Schluss des Stücks gehört Willy Zielke: »Ich bin Willy Zielke. Ich gehörte nur mir selbst. Ich habe überlebt und ich lebe. Ich bin kein Opfer. Ich bin auf der Seite der Sieger. Auch wenn das noch niemand sieht, weil ihre Augen noch verklebt sind. Ich habe Zeit. Die Zeit wird auf meiner Seite sein. (…) Ich bin das Licht, mit dem man Filme macht und das Dunkel, in dem man sie sieht«.
Zum Titel
Den wohl berühmtesten deutschen Eisenbahnfilm „Das Stahltier“ drehte der erst 32-jährige visionäre Regisseur und Kameramann Willy Zielke 1934 im Auftrag der Deutschen Reichsbahn. Der Anlass war das 100-jährige Jubiläum der sechs Kilometer langen ersten deutschen Eisenbahnstrecke, die mit 200 Ehrengästen eröffnet wurde. Die Fahrt begann am 7. Dezember 1835 um 9 Uhr morgens in Nürnberg und endete neun Minuten später in Fürth.
Zu den genau auf die Bilder komponierten Geräuschmontagen und Musiken des populären Komponisten Peter Kreuder erzählte Zielke in Spiel- und Dokumentarszenen die Entwicklung der Eisenbahntechnologie von den Anfängen bis zu der von George Stephenson und seinem Sohn gebauten berühmten Dampflokomotive „Rocket“, die die damals außergewöhnliche Geschwindigkeit von etwa 48 Kilometern pro Stunde erreichte.
Obwohl der Film „Das Stahltier“, der 1938 im Rahmen einer geschlossenen Sonderveranstaltung uraufgeführt wurde, durch seine experimentelle Kameraführung (Kameras standen zwischen den Schienen oder drehten sich mit dem Rad einer Lokomotive), die stakkatohaften Bilderfolgen, furiosen Montagen, Überblendungen und dynamischen Schnitte als Meisterwerk und Meilenstein des dokumentarischen und avantgardistischen Films gilt, wurde er von der schockierten Reichsbahn-Führung, die einen Werbefilm erwartet hatte, als »zur Aufführung nicht geeignet« abgelehnt. Auch Joseph Goebbels, der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, der den Film1935 zusammen mit Leni Riefenstahl in einer Privatvorführung angesehen hatte, lehnte den Film wegen »Schädigung des deutschen Ansehens« ab. Für Zielke war das Verbot natürlich eine Katastrophe.
Als die Deutsche Bundesbahn „Das Stahltier“ 1954 zum 100-jährigen Jubiläum der deutschen Eisenbahnen zeigen wollte, wies Zielke darauf hin, dass wahrscheinlich nur noch eine einzige Kopie in der Cinémathèque Française existiere. Sie gehörte Leni Riefenstahl, bis sie von französischen Besatzungstruppen in ihrem Haus bei Kitzbühel konfisziert wurde.
Nachdem dieses Exemplar Anfang der 50er Jahre nach Deutschland zurückkam und von den Verantwortlichen der Deutschen Bundesbahn angesehen wurde, fanden diese den Film ebenso ungeeignet wie zuvor die Verantwortlichen der Reichsbahn. Sie verlangten von Zielke, den Film zu kürzen, sodass statt des 70 Minuten dauernden Originals nur eine 43-minütige verstümmelte Version in die Kinos kam.
Erst 1985 wurde der vollständige Film in einigen dritten Programmen im Fernsehen gezeigt.
Seit 2007 ist der Film auf einer technisch nicht sehr gut bewerteten DVD-Version erhältlich.
Pressestimmen
Das Stück reißt einen einfach mit. Als Zuschauer befindet man sich plötzlich in dieser Welt und vergisst die Zeit, konzentriert sich ganz auf das Bühnengeschehen. Dank der Multimedialität und der vollkommenen Nutzung des Saals erhält man das Gefühl hautnah mit dabei zu sein. Man befindet sich mittendrin. Eine der ansehnlichsten Inszenierungen der bisherigen Saison!
LUXEMBURG, Nora Schloesser, Luxemburger Wort, 15.3.2024
Ein starker, eindringlicher Abend, der mit wenigen Mitteln auskommt und doch ein Maximum an Assoziationen weckt. Und überhaupt auf diese grausame Geschichte aufmerksam macht. Eine späte Rehabilitierung eines zu Unrecht fast Vergessenen.
BERLIN, Peter Zander, Berliner Morgenpost, 5.4.2024
Albert Ostermaier hat den historisch und politisch kontaminierten Stoff zu einem bedrückenden Text über Anpassung und Widerstand von Kunst in Zeiten der Diktatur geformt. In seinem Stück „Stahltier“, das jetzt im Renaissance-Theater aufgeführt wird, zeigt er, wie schmal der Grat ist, auf dem Künstler wandeln, wie schwierig es ist, den Verlockungen der Macht zu widerstehen. (…) Über allem liegt eine Atmosphäre der Angst. Aber auch der Freiheit, die nur durch aufrechte, emphatische Kunst erreicht werden kann.
BERLIN, Frank Dietschreit, Mannheimer Morgen, 5.4.2024.
Mit historischen Filmausschnitten und Live-Videos, vor allem aber mit den eindrucksvoll tiefenscharfen Schauspielern gelingt Frank Hoffmann eine souverän verdichtete, berührend erzählte Aufführung. Ambivalent und eindringlich lassen Jacqueline Macaulay und Wolfram Koch ihre Figuren wie Untote der deutschen Geschichte auferstehen.
BERLIN, Irene Bazinger, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8.4.2024
Biografien
WOLFRAM KOCH Willy Zielke, Joseph Goebbels
Wolfram Koch wurde 1962 in Paris geboren und studierte an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt. Auf zahlreiche Rollen an der Berliner Volksbühne, am Schiller Theater Berlin, am Deutschen Theater Berlin sowie am Schauspiel Frankfurt folgte während der Intendanz von Leander Haußmann von 1995 bis 2000 ein Festengagement am Schauspielhaus Bochum… mehr
JACQUELINE MACAULAY Leni Riefenstahl, Ärztin
Für ihre Darstellung der Luise in Schillers „Kabale und Liebe“ unter der Regie von András Fricscay wurde sie 1994 zur besten Nachwuchsschauspielerin NRW gewählt und nur ein Jahr später für ihre Doppelrolle im Stück „Oleanna/Musik“ (Regie: Harald Clemen) von Theater heute als Nachwuchsschauspielerin des Jahres ausgezeichnet. 1996 war die Produktion „Der große Knall“… mehr
FRANK HOFFMANN Regie
Frank Hoffmann erhielt seine erste große Auszeichnung 1990 durch die Zeitschrift Theater heute: ‚Nachwuchsregisseur des Jahres‘. Im Folgejahr wurde sein Spielfilm „Schacko Klak“ beim Festival in Teheran als Beste Regie geehrt. Das Prädikat beste Inszenierung in NRW erhielt 1993 seine Arbeit am Schauspielhaus Bonn „Geschichten aus dem Wiener Wald“. Die Auszeichnungen Prix Lions, Chevalier de l’Ordre de la Couronne de Chêne, Officier de l’Ordre du Mérite, die Ehrenbürgerschaft des Kreises Recklinghausen und der… mehr