RENAISSANCE-THEATER Berlin / EURO-STUDIO Landgraf
Fräulein Julie
(Fröken Julie)
Naturalistisches Trauerspiel von August Strindberg
ca. 08.11.2020 – 30.11.2020
ca. 15.01.2021 – 15.02.2021
Mit Judith Rosmair und Dominique Horwitz
Fassung: Torsten Fischer, Herbert Schäfer, Judith Rosmair
Regie: Torsten Fischer
Ausstattung: Herbert Schäfer, Vasilis Triantafillopoulos
Nach den zwei ungewöhnlichen Fischer/Horwitz-Theaterabenden „Ich
mach ja doch was ich will“ und „ROT“ über den Maler Mark Rothko (ausgezeichnet mit dem 2. INTHEGA-Preis 2014) ist auch von „Fräulein Julie“ wieder eine nuancenreiche Figurenzeichnung und eine Dialogregie mit genauem Gespür für Zwischentöne zu erwarten.
Inhalt
Fräulein Julie, Tochter eines Grafen und Gutshofbesitzers, ist zwar privilegiert, würde aber am liebsten das enge Gefängnis der Standesgrenzen sprengen. Diener Jean träumt dagegen von sozialem Aufstieg und Prestige. Beide vereint die unbefriedigte Sehnsucht nach Freiheit, Liebe und das verzweifelte Streben nach Individualität. In der erregenden Atmosphäre der Mittsommernacht lassen sie sich auf ein gefährliches Liebesspiel ein, das zwischen Begehren und Abweisung, Macht und Ohnmacht oszilliert. Julie und Jean suchen die Flucht nach außen, verirren sich aber im Inneren ihrer Gefühle und Wünsche.
Strindbergs 1888 entstandenes und damals als Skandal empfundenes Stück über den Kampf zwischen Mann und Frau, der zum Kampf mit sich selbst führt, zählt mittlerweile nicht nur zu den meistgespielten Werken des schwedischen Schriftstellers, sondern auch zu den Klassikern der modernen Beziehungsdramatik überhaupt.
AUGUST STRINDBERG im Vorwort zu „Fräulein Julie“
Im vorliegenden Drama habe ich nicht versucht, etwas Neues zu schaffen – denn das kann man nicht –, sondern nur die Form entsprechend den Ansprüchen zu erneuern, die meiner Ansicht nach die des Menschen unserer Zeit sind. Zu diesem Zweck habe ich ein Motiv gewählt – oder mich von ihm fesseln lassen (…): das Problem des sozialen Aufstiegs oder Falls, das von bleibendem Interesse war, ist und sein wird. (…) Daß mein Trauerspiel auf viele einen traurigen Eindruck macht, liegt an den Vielen. (…) Man warf kürzlich meinem Trauerspiel „Der Vater“ vor, daß es so traurig sei. Als ob man heitere Trauerspiele forderte! (…) Die Theaterdirektoren schreiben Bestellzettel für Schwänke aus, als ob die Lebensfreude darin bestände, albern zu sein (…). (…) Eben deshalb habe ich einen ungewöhnlichen Fall gewählt (…). (…) Ich habe meine Figuren als moderne Charaktere entworfen, in all ihrer Unsicherheit und Zerrissenheit, zusammengesetzt aus Altem und Neuem, als Figuren einer Übergangszeit. (…)
JULIE und JEAN
Die Handlung [geht] eigentlich nur zwei Personen an (…), weil ich bemerkt zu haben glaube, daß (…) die Menschen unserer Tage (…) sich nicht mit einem Ereignis zufriedengeben, ohne zu erfahren, wie es zugegangen ist! Wir wollen gerade die Fäden sehen, die Maschinerie, die Schachtel mit dem doppelten Boden untersuchen, den Zauberring anstecken, um die Naht zu finden, in die Karten gucken, um zu ermitteln, wo sie gezinkt sind.
August Strindberg: Vorwort zu „Fräulein Julie“, veröffentlicht in: Marianne Kesting und Verner Arpe (Hrsg.): Über Drama und Theater. Übersetzt aus dem Schwedischen von Verner Arpe. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1966
Dieses für die Entwicklung des modernen Theaters richtungsweisende Vorwort schrieb Strindberg 1888 als Konzept für ein Theater in Stockholm, das er nach dem Vorbild des von Schauspieler und Regisseur André Antoine geleiteten avantgardistischen Pariser Théâtre Libre als »Skandinavisches Versuchstheater« gründen und mit „Fräulein Julie“ eröffnen wollte. Die Pläne zerschlugen sich. „Fräulein Julie“ wurde 1889 in Kopenhagen uraufgeführt.
WERKGESCHICHTE „Fräulein Julie“
Das Originalmanuskript von „Fräulein Julie“ befindet sich im Handschriftenarchiv des Nordiska Museet (Schwedisches Nationalmuseum) in Stockholm.
»Das größte Genie aller modernen Dramatiker« nennt Eugene O’Neill Strindberg in seiner Dankesrede, die er aus Anlass des ihm 1936 verliehenen Nobelpreises für Literatur hält. Das umfangreiche literarische Gesamtwerk – Strindberg schreibt neben seinen mehr als 60 Stücken unterschiedlichster literarischer Gattungen (Historien- und Naturalistische Dramen, Monodramen, Märchenspiele), zehn oft autobiografische Romane und ebenso viele Geschichtensammlungen, Gedichte und mehrere 1000 (inzwischen zum Teil auch veröffentlichte) – Briefe. Dieses vielseitige Werk des 1849 in Stockholm geborenen Autors, das die letzten zwei Jahrzehnte um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert nachhaltig geprägt hat, ist nicht nur zukunftsweisend für die zeitgenössische schwedische, deutsche und französische Dramatik, sondern auch Wegbereiter für Romane, Novellen und Autobiografien. Ein künstlerisch ebenso entscheidender Vorläufer ist er als Fotograf und hoch gehandelter Maler, den das Londoner Auktionshaus Christies (1995 wird dort sein 1901 gemaltes Bild „Inferno“ für 1,2 Millionen £ (!) versteigert) als einen »der bedeutendsten Maler seiner Zeit« einordnet.
Nach den wütenden Reaktionen auf die polemische Gesellschaftskritik seiner satirischen Historischen Romane „Das schwedische Volk“ und „Das neue Reich“ hat der noch nicht einmal 35-jährige Strindberg 1883 mit seiner ersten Frau, der finnlandschwedischen Schauspielerin Siri von Essen, und den beiden kleinen Töchtern Karin und Greta Schweden verlassen und sich für viele, auch finanziell prekäre Jahre ins Exil begeben. Trotzdem heizt ein Jahr später ein Blasphemie-Prozess wegen der unmittelbar nach dem Erscheinen beschlagnahmten und verbotenen Kurzgeschichtensammlung „Heiraten“ die Stimmung seiner Zeitgenossen gegen ihn weiter an. Ebenso wie sein mit ihm wegen Unsittlichkeit und Gotteslästerung angeklagter Verleger Albert Bonnier wird er in dem Gerichtsverfahren freigesprochen.
In Paris, einer Station der sechsjährigen Emigration (von 1894–1896), lernt er das von André Antoine gegründete, am 30.3.1887 eröffnete Théâtre Libre kennen, in dem ausschließlich für dieses Theater geschriebene Stücke gespielt werden, in denen die in dem Werk „Le Naturalisme au théâtre“ formulierten naturalistischen Forderungen des französischen Schriftstellers Émile Zola befolgt werden. Er begreift sofort die Tragweite dieser Theaterform und plant, ein entsprechendes experimentelles Theater zu eröffnen.
Nach Aufenthalten in der französischen Schweiz und Bayern lebt Strindberg ab Dezember 1887 mit seiner Noch-Ehefrau Siri (die Scheidung war schon beschlossen), den Töchtern und dem inzwischen geborenen Sohn Hans in Dänemark in der Nähe von Kopenhagen und verwirklicht innerhalb des Kopenhagener Dagmar Theaters den Traum eines eigenen naturalistischen Theaters. Skandinavisk Forsøgsteater – Skandinavisches Versuchstheater – nennt er seine, nach dem Vorbild des Théâtre Libre konzipierte, Modellbühne, deren Repertoire ausschließlich aus seinen Stücken bestehen soll. Für die Eröffnung schreibt er in den 20 Tagen zwischen dem 22.7. und dem 10.8.1888 „Fräulein Julie“. Thematischer Auslöser ist die Erinnerung an eine Zeitungsnotiz, über die unstandesgemäße Liaison einer Adeligen und ihres Dieners, die er einige Jahre zuvor gelesen hatte. Im Gegensatz zu seinem Stück endete dieses Liebesverhältnis aber nicht mit dem Suizid der Titelfigur. Dem Diener gibt er den Namen Jean – ein Verweis auf ihn, August Johan Strindberg, der zeitlebens darunter litt, als »Sohn einer Magd« von niedrigem Stand zu sein. Das berühmt gewordene „Vorwort“, das richtungsweisend für die Entwicklung des modernen Theaters wird, verfasst er im Anschluss bis zum 22.8.1888. Zusammen mit seinen zur Jahreswende 1888/1889 geschriebenen naturalistischen Einaktern „Die Stärkere“ und „Paria“ und der direkt im Anschluss an „Fräulein Julie“ entstandenen biografischen Tragikomödie „Gläubiger“ soll am 9.3.1889 sein Theater eröffnet werden. Da „Fräulein Julie“ am Abend vor der Uraufführung von der dänischen Zensurbehörde verboten wird (nähere Informationen finden Sie auf Seite 27 bei der AUFFÜHRUNGSGESCHICHTE), werden nur „Gläubiger“, „Die Stärkere“ und „Paria“ gespielt.
Obgleich Strindberg seinen Verleger Bonnier ausdrücklich gebeten hat, seine »Nr. 1 einer kommenden Serie naturalistischer Trauerspiele nicht leichtsinnig abzulehnen damit er es später nicht zu bereuen braucht«1 nimmt er „Fräulein Julie“ nicht in sein Verlagsprogramm auf. Später nennt er diese Entscheidung den »größten Irrtum«1 seines Lebens.* An seiner Stelle publiziert Joseph Seligmann, der 1879 schon Strindbergs Romandebüt „Das Rote Zimmer“ herausgegeben hat, das Stück. Der Sensationserfolg des Romans rettet Strindberg seinerzeit nicht nur aus einer katastrophalen finanziellen Notlage, sondern macht ihn als Romancier in ganz Skandinavien berühmt. Der schwedische Erstdruck von „Fräulein Julie“ erscheint 1889 in Stockholm in einer von Seligmann nicht nur gekürzten, sondern auch »inhaltlich«2 und »stilistisch gravierend«2 veränderten Fassung. »Das Verschwinden des (Original-) Manuskripts führt zwangsläufig dazu, daß alle folgenden Ausgaben und Übersetzungen des Stücks auf diesen von Seligmann entstellten, von Strindberg nie autorisierten Text des Erstdrucks zurückgehen. Erst 1964 gelingt es, den Strindbergschen Originaltext annäherungsweise zu rekonstruieren.«2
Trotz dieser von Strindberg erpressten Veränderungen (»er hat mich zu einem Moralprediger gemacht !«) schreibt der spätere Literaturnobelpreisträger Bjørnsterne Bjørnson 1888 an seine Tochter: »Wir haben jetzt „Fräulein Julie“ gelesen. (…) Strindbergs Poesie ist (…) schmutzig. Er ist selbst ein bedenklicher Kerl, und das spiegelt seine Dichtung wieder«3 und der Autor, Dramatiker, Schauspieler, Regisseur und Theaterdirektor Leo Melitz (1855– 1927) urteilt in seinem, wohl 1905 während seiner Direktion am Staatstheater Basel publizierten, Schauspielführer: „Fräulein Julie“ »gehört stofflich zu den mißlichsten der gewiß schon vor nichts Ekelhaften zurückschreckenden realistischen Schule.«4
1889, zwei Jahre nach dem Trauerspiel „Der Vater“, wird „Fräulein Julie: naturalistisches Trauerspiel“ in Reclams Universalbibliothek Leipzig veröffentlicht. Durch den Ruf Strindbergs als u. a. wegen Gotteslästerung angeklagter Skandalautor geht der Verlag mit der Publikation von den – für damalige Verhältnisse in sehr drastischer Sprache geschriebenen – Werken ein nicht unerhebliches Risiko ein. 1911 erscheint das Stück als „Julie: A Tragedy“ erstmals in englischer Sprache
1 Marianne Kesting und Verner Arpe (Hrsg.): August Strindberg. Über Drama und Theater. Aus dem Schwedischen von Verner Arpe. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1966, S.107.
2 Der übernommene Text ist ein Auszug aus dem Begleittext des Theaterdramaturgen Heiner Gimmler zu seiner im Verlag der Autoren 1988 veröffentlichten den neuesten Stand der Strindberg-Forschung berücksich- tigenden Übersetzung von „Fräulein Julie“. Zitiert nach August Strindberg: Fräulein Julie. Blätter des Deutschen Theaters in Göttingen, Spielzeit 1988/1989, S. 124. Die alte Rechtschreibung wurde beibehalten.
3 Bjørnsterne Bjørnson: Briefe aus Aulestad an seine Tochter Bergliot Ibsen. S. Fischer Verlag, Berlin 1911. Kürzungen sind mit (…) gekennzeichnet.
4 Leo Melitz: Der Schauspielführer. Führer durch das Theater der Jetztzeit; 300 Theaterstücke, ihrem Inhalte nach wiedergegeben. Globus Verlag, Erste Ausgabe Berlin o. J.
*Kurz vor Strindbergs Tod im Mai 1912 kauft der Bonnier Verlag dem schwerkranken Autor für 200.000 Kronen (10.000 Kronen sind heute etwa 180.000 €) seine Rechte an den gesammelten Werken ab. Anschließend erwirbt der Verlag auch die Rechte, die Strindberg an andere verkauft hat. Dadurch erhöht sich die Gesamtsumme auf fast 300.000 Kronen. Nicht eingeschlossen sind die Rechte, die an ausländische Verlage vergeben wurden. Nach Strindbergs Tod gibt der Verlag „Strindbergs Gesammelte Schriften“ in 55 Bänden heraus. Während der ersten 20 Jahre nach seinem Tod verkauft der Verlag 1,7 Mio. Exemplare von Strindbergs Büchern und verdient zwischen 1912 und 1927 fast 10 Mio. Kronen mit seinen Werken.
Originalbeitrag von Birgit Landgraf
1888, ein Jahr nach dem Trauerspiel „Der Vater“ wird „Fräulein Julie. Naturalistisches Trauerspiel“ im Reclam Verlag Leipzig veröffentlicht. Durch den Ruf Strindbergs als u. a. wegen Gotteslästerung angeklagter Skandalautor geht der Verlag mit der Publikation von Strindbergs – für damalige Verhältnisse in sehr drastischer Sprache geschriebenen – Werken ein nicht unerhebliches Risiko ein. 1911 erscheint „Julie: A Tragedy“ die erste Übersetzung in englischer Sprache.
AUFFÜHRUNGSGESCHICHTE „Fräulein Julie“
Da das Stück von der schwedischen Zensur verboten ist, findet die Uraufführung – um das Verbot der dänischen Zensurbehörde zu umgehen – am 14.3.1889 vor geladenen Zuschauern als geschlossene Vorstellung des Studentenvereins der Universität in Kopenhagen mit Strindbergs Frau Siri von Essen in der Titelrolle statt. Es gibt zwei – von Strindberg, der vermutet, dass seine Frau ein Verhältnis mit dem Schauspieler des Jean hat, durch eine halb geöffnete Tür argwöhnisch beobachtete – Vorstellungen. Die Ehe mit der Schauspielerin wird 1892 geschieden. Die Deutschsprachige Erstaufführung läuft – vorsichtshalber mit einem von dem Theaterkritiker Paul Schlenther, einem Mitbegründer des Vereins, gehaltenen Einführungsvortrag – als geschlossene Vorstellung am Berliner Residenztheater im Rahmen des Vereins Freie Bühne am 3.4.1892.
Als „Fräulein Julie“ am 16.1.1893 an dem Théâtre Libre gezeigt wird, kann Strindberg den Ruhm für sich in Anspruch nehmen, dass er der erste zeitgenössische Dramatiker ist, von dem ein Stück in Paris gespielt wird. Erst zehn Jahre später kommt es zu weiteren Inszenierungen: 1902 in Stuttgart, 1903 in Hamburg und 1904 wieder in Berlin in einer von Max Reinhardt mit Gertrud Eysoldt und Hans Wassmann inszenierten Vorstellung. 1908 wird „Fräulein Julie“ zusammen mit dem Einakter „Paria“ in Dresden in Esperanto gespielt. Die erste schwedische Aufführung findet 16 Jahre nach der Uraufführung im Herbst 1904 im großen Gildesaal zu Uppsala als geschlossene Vorstellung statt. Ein ungewöhnliches Ereignis ist die vor nur zwei interessierten Zuschauern – George Bernard Shaw und August Strindberg – im Sommer 1908 im Intimen Theater Stockholm gespielte Aufführung. Theaterhistorische Bedeutung hat die Inszenierung, des bekannten schwedischen Regisseurs Alf Sjöberg am Stockholmer Dramaten, dem Königlichen Nationaltheater, am 23.1.1949, die in gewissem Sinne eine »Ur-Julie« zeigt. Alle Kraftausdrücke Strindbergs, die der Verleger Josef Seligmann gestrichen hatte, werden wieder in den Dialog eingeführt. (Für seine Verfilmung des Stücks wird Sjöberg 1951 mit dem Hauptpreis der Filmfestspiele in Cannes ausgezeichnet.) Die psychologisch glänzend motivierte Vorstellung wird durch Gastspiele in Norwegen, Finnland (Helsinki), Frankreich (Paris) und Österreich (Wien) auch außerhalb Schwedens berühmt.
Grundlage dieser Zusammenstellung ist Gunnar Ollén: August Strindberg. Friedrich Verlag Velber bei Hannover. 2. Auflage 1975, S. 116-117
JUDITH ROSMAIR Fräulein Julie
Die von der Zeitschrift Theater heute 2007 als Schauspielerin des Jahres ausgezeichnete Darstellerin wuchs mit acht Geschwistern in der Nähe von München auf und interessierte sich bereits in der Schulzeit für Musik und Tanz. Ihre Ausbildung zur Bühnenkünstlerin machte sie dann an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg, an der sie gleich bei ihrem allerersten Schauspielschul-Vorsprechen angenommen wurde. Ihr erstes Engagement führte sie danach direkt an das renommierte Schauspielhaus Bochum, wo sie Gelegenheit hatte, mit so bekannten Regisseuren wie u. a. Leander Haußmann, Frank Castorf, Jürgen Gosch oder Dimiter Gotscheff zu arbeiten. Hier verkörperte sie u. a. große klassische Rollen wie Gretchen in Goethes „Urfaust“, Ariel in Shakespeares „Der Sturm“ oder Klara in Hebbels „Maria Magdalena“. Bei den Nibelungen-Festspielen Worms besetzte sie Regisseur Dieter Wedel 2002 als Brünhild in „Die Nibelungen“. Von 2000 bis 2008 war sie fest am Thalia Theater Hamburg engagiert und spielte u. a. in Inszenierungen von Franz Wittenbrink (Kismet in Wittenbrinks „Vatertag“), Nicolaus Stemann (Gudrun Ensslin in Jelineks „Ulrike Maria Stuart“), Dimiter Gotscheff (Dorinde in Molières „Tartuffe“), Niklaus Helbling (Franziska in Lessings „Minna von Barnhelm“) und Martin Kusej (in Feydeaus „Der Floh im Ohr“ und Marlowes „Edward II.“). Im Anschluss ging sie an die Schaubühne Berlin, wo sie von 2008-2012 zum festen Schauspielensemble gehörte. An diesem Haus arbeitete sie mit Regisseur*innen wie u. a. Ivo van Hove (Molières „Der Menschenfeind“), Falk Richter/Anouk van Dijk („Protect Me“, „Trust“, Schillers „Kabale und Liebe“) und Thomas Ostermeier (Shakespeares „Hamlet“, „Der Schnitt“ von Mark Ravenhill). Es folgten Engagements am Düsseldorfer Schauspielhaus, Schauspiel Köln, Renaissance Theater Berlin (u. a. in Theresia Walsers „Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel“, Regie: Tina Engel) und St. Pauli Theater Hamburg (in Dennis Kellys „Waisen“, Regie: Wilfried Minks, Rezas „Bella Figura“, Regie: Ulrich Waller). Am Pariser Colline Théâtre National spielte sie in Wajdi Mouwads multilingualem Stück „Tous des Oiseaux“ unter der Regie des Autors höchstpersönlich. Mit Regisseur Torsten Fischer erarbeitete sie bereits Stücke wie „Wir lieben und wissen nichts“ von Moritz Rinke (Renaissance Theater Berlin 2014), Henry Purcells „King Arthur“ (Gärtnerplatz Theater München 2016), „Willkommen“ und „Wunschkinder“ von Lutz Hübner/Sarah Nemitz (Renaissance Theater Berlin 2017) und zuletzt 2018 Rezas „Der Gott des Gemetzels“ am Theater in der Josefstadt Wien. Neben ihrer erfolgreichen Bühnentätigkeit steht sie aber auch immer wieder für TV-Serien vor der Kamera (u. a. „Bella Block“, „Doppelter Einsatz“, „Großstadtrevier“, „Tatort“, Polizeiruf 110“, „München Mord“) und dreht Fernsehfilme wie u. a. „Mein Sohn Helen“ (ARD 2014), „Inspektor Jury“ (ZDF 2016) oder „Berthold Beitz – Ein unruhiges Leben“ (ARD 2019). Und auch im Kino war sie bereits zu sehen: 2012 im Kinderfilm „Das kleine Gespenst“ (Regie: Alain Gsponer) und 2018 in David Dietls „Rate your Date“.
DOMINIQUE HORWITZ Jean
Der in Paris geborene Charakterdarsteller fühlt sich trotz seiner über 80 Film- und TV-Produktionen v. a. im Theater zu Hause: 1978 debütierte er im Berliner Cabaret des Westens und wechselte ein Jahr später an das Tübinger Zimmertheater. 1983 holte ihn Frank Baumbauer an das Münchner Residenztheater. Am Hamburger Thalia Theater (1985-1988) schrieb er unter der Regie von Robert Wilson in der UA von Tom Waits’ Musical „The Black Rider“ Theatergeschichte. Weitere Bühnenerfolge waren u. a. 1993 die UA von „The Best of Dreigroschenoper“ an den Hamburger Kammerspielen, 1995 Harold Pinters Stück „Moonlight“ am Berliner Ensemble (Regie: Peter Zadek), 1997 Brechts „Im Dickicht“ am Deutschen Theater Berlin und 2005 die Uraufführung von Moritz Rinkes „Café Umberto“ am Düsseldorfer Schauspielhaus. 2010 stand er in der Titelrolle des Versdramas „Cyrano de Bergerac“ von Edmond Rostand auf der Bühne des Hamburger Schauspielhauses. 2012 gab er sein Opernregie-Debüt mit Webers „Der Freischütz“ am Theater Erfurt. Auch als Sprecher und Sänger ist der Schauspieler gefragt. Sein Talent im musikalisch-literarischen Genre konnte er u. a. beim Strawinski-Abend „Geschichte vom Soldaten“ (mit Daniel Barenboim) und „Oedipus Rex“ (mit Valery Gergiev) unter Beweis stellen.
Nach seinen Erfolgen mit dem von Torsten Fischer im Bühnenbild von Vasilis Triantafillopoulos inszenierten Monodrama „ich mach ja doch was ich will“ von Doug Wright über die unglaubliche Lebensgeschichte des Lothar Berfelde alias Charlotte von Mahlsdorf, die/der von den Nazis als Homosexueller verfolgt wurde und überlebte, und John Logans Künstlerdrama „ROT“ erarbeitet dieses künstlerische Dream-Team nun „Fräulein Julie“ von August Strindberg. Mit der Konzertdirektion Landgraf waren außer den vorgenannten Produktionen auch Horwitz‘ Chanson-Abend „Jacques Brel! Theater als Chanson“, der teuflisch-musikalische Abend „Me and the Devil“ (nominiert für den INTHEGA-Preis 2017) sowie die musikalischen Produktionen „Deutsche Märchen“ und „Liebe und andere Unglücksfälle“ auf Tournee.
TORSTEN FISCHER Regie
Der vielbeschäftigte Regisseur und Autor ist seit 1981 am Theater tätig. 1984-1989 war er Regisseur am Theater Bremen, 1990-1995 Oberspielleiter am Kölner Schauspiel und anschließend bis 2002 Kölner Schauspieldirektor. Gastregien in Oper und Schauspiel führten ihn u. a. nach München, Wien, Hamburg, Stuttgart, Frankfurt, Hannover, Berlin, Straßburg, Zürich, Warschau und New York. Er führte Regie bei zahlreichen Uraufführungen und Deutschsprachigen Erstaufführungen, darunter Werke von Kroetz, Streeruwitz, Dorst, Mamet, Churchill und Harrower.
Oft widmete er sich in seiner Arbeit dem Musiktheater, so u. a. mit Inszenierungen von „Boccaccio“ von Suppé, Janáčeks „Das schlaue Füchslein“ und Bizets „Les Pêcheurs de Perles“ (Volksoper Wien), Puccinis „La Bohème“ (Straßburg), Rihms „Jakob Lenz“ (Frankfurt), Meiers „Dreyfus – Die Affäre“ (Deutsche Oper Berlin), Sondheims „Sweeney Todd“, Mozarts „Le nozze di Figaro“ und „Die Entführung aus dem Serail“, Verdis „Don Carlo“ und Rossinis „La Cenerentola“ (Oper Köln). Für das Festival KlangBogen Wien inszenierte er Spohrs „Faust“, Massenets „Don Quichotte“ und Smetanas „Dalibor“. Am Theater an der Wien entstanden Cherubinis „Médée“ sowie ein Gluck-Zyklus („Telemaco“, „Iphigénie en Aulide“, „Iphigénie en Tauride“). Für „Telemaco“ erhielt er den österreichischen Musikpreis Schikaneder.
2008 wurde an der Staatsoper Berlin Peter Ruzickas „Hölderlin – Eine Expedition“ unter seiner Regie uraufgeführt. Es folgten Inszenierungen von Verdis „Aida“ und Richard Wagners „Der fliegende Holländer“ am Stadttheater Klagenfurt sowie Strauss’ „Daphne“ an der Dresdner Semperoper, gefolgt von u. a. Salieris „Falstaff“ im Theater an der Wien und Purcells „King Arthur“ im Münchner Theater am Gärtnerplatz Regie.
Seit 2007 inszeniert Torsten Fischer auch am Renaissance Theater Berlin, so z. B. die Deutschsprachige Erstaufführungen von Michael Frayns „Verdammt lange her“, John Logans „Rot“ (mit Dominique Horwitz) und David Ives „Venus im Pelz“. Darüber hinaus erarbeitete er dort Lutz Hübners/Sarah Nemitz‘ „Blütenträume“, „Richtfest“, und „Wunschkinder“, Oscar Wilde/Elfriede Jelineks „Der ideale Gatte“, Moritz Rinkes „Wir lieben und wissen nichts“ und „Fast Normal“, ein Musical von Tom Kitt und Brian Yorkey. Er führte bei der Uraufführung von Ronald Harwoods „Entartete Kunst – Der Fall Cornelius Gurlitt“ sowie bei Ronald Harwoods „Quartetto“.
Am Theater in der Josefstadt inszenierte Torsten Fischer u. a. Neil La Butes „Wie es so läuft“ (2007), „Jugend ohne Gott“ von Christopher Hampton nach Ödön von Horváth (2009), „Drei Schwestern“ von Anton Tschechow (2011), „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ von Eugene O’Neill (2012), „Die Kameliendame“ von Alexandre Dumas (2014), „Die kleinen Füchse“ von Lillian Hellman (2016) und „Der Gott des Gemetzels“ von Yasmina Reza (2017). Zusammen mit Herbert Schäfer schrieb er hier auch die Libretti für die Uraufführung „Blue Moon“, eine Hommage an die Jazz-Ikone Billie Holiday, und für die Lotte-Lenya-Hommage „Lenya – Ein Liebeslied“.
Nach dem Tourneeerfolg von „Rot“ waren 2017/18 gleichzeitig zwei Torsten-Fischer-Inszenierungen mit der Konzertdirektion Landgraf auf Tour: „Blue Moon“ (3. INTHEGA-Preis 2018) und „Entartete Kunst – Der Fall Cornelius Gurlitt“ (u. a. mit Boris Aljinovic und Burgschauspieler Udo Samel, der die Titelrolle spielte).
Am 11.4.2019 hatte im Wiener Theater in der Josefstadt Fischers Inszenierung von David Schalkos Zweipersonen-Stück „Toulouse“ Premiere, in der »Sona MacDonald und Götz Schulte unter Anleitung des Könners Torsten Fischer eine brillante Konversationsgroteske aufbauen, die in einer Apokalypse Strindberg’scher Dimension« (Kronenzeitung, 13.4.2019) endet.