Archiv der Kategorie: Biografien

Robert Hunger-Bühler

Der Schauspieler mit der nachhaltigen Präsenz hat an vielen Theatern gespielt, von denen er zu Beginn seiner Karriere sicherlich geträumt hat. Für den gebürtigen Schweizer Robert Hunger-Bühler, der neben einer Lehre als Hochbauzeichner seine im Abendstudium absolvierte Ausbildung an der Schauspiel Akademie in Zürich 1974 abgeschlossen hatte, war das natürlich an erster Stelle das Schauspielhaus Zürich, an dem er seit der Spielzeit 2002/2003 festes Ensemblemitglied war und nach den vielen Charakterrollen, in denen er dort zu sehen war, Kultstatus besitzt. Zwei Inszenierungen von Stefan Pucher, in denen er die Titelrolle spielt, werden zum Theatertreffen in Berlin (auf dem die zehn bemerkenswerten Inszenierungen der Saison gezeigt werden) eingeladen: 2003 „Richard III.“, 2011 „Der Tod eines Handlungsreisenden“. Ibsens „Ein Volksfeind“ (er ist der Bruder des Volksfeinds) wird 2016 nicht nur für das Berliner, sondern auch für das 3. Schweizer Theatertreffen ausgewählt. Nach Shylock in „Der Kaufmann von Venedig“ (2008) ist er in zwei Inszenierungen moderner Stücke von Pucher zu sehen: 2011 als Hamm in Becketts „Endspiel“ und 2019 in der Uraufführung „Frankenstein“. Zu den weiteren Hochkaräter-Rollen, die Robert Hunger-Bühler in Zürich spielt, gehören Danton in „Dantons Tod“ (Regie: Christoph Marthaler), Michel in Houllebecqs „Elementarteilchen“ (Regie: Johan Simons) und der Waffenfabrikant in Shaws „Major Barbara“ (Regie: Peter Zadek). Zwischen 2009 und 2014 tritt er in fünf Inszenierungen von Barbara Frey auf: als Philosoph in „Triumph der Liebe“ von Marivaux, als Pantalone in Goldonis „Diener zweier Herren“, als Büchners „Woyzeck“, Ibsens „Baumeister Solness“ und Edgar-Allan-Poe in „A Dream Within a Dream“. 2016 und 2017 steht er in den Titelrollen von Lessings „Nathan der Weise“ (Regie: Daniela Löffner) und als Puntila in Brechts „Herr Puntila und sein Knecht Matti “ (Regie: Sebastian Baumgarten) auf der Bühne. 2017 und 2019 ist er in zwei Theateradaptionen/Inszenierungen von Frank Castorf zu sehen. („Die fremde Frau und der Mann unter dem Bett“ nach Dostojewski und „Justiz“ nach dem Roman von Dürrenmatt). In einer Bühnenfassung nach Bulgakows Roman „Hundeherz“ (Regie: Alvis Hermanis) macht er 2018 als Professor aus dem Hund Lumpi den Menschen Lumpikow. Begonnen hat die Theaterlaufbahn des 2015 als Herausragender Schauspieler mit dem Schweizer Theaterpreis ausgezeichneten Künstlers in Wien, wohin er 1975 nach Abschluss der Schauspiel Akademie geht. Während des Studiums (Theaterwissenschaft und Philosophie) arbeitet er an der von ihm gegründeten (Studenten)Theatergruppe 85 und als Schauspieler, Regisseur und Dramaturg u. a. am Theater am Belvedere. Schon bei seinen ersten beiden Festengagements erlebt er Theater-Sternstunden: in Ramón Parejas Inszenierung „Così parlò Pasolini“ tritt er mit dem Ensemble-Theater 1982 bei den Wiener Festwochen auf, mit dem Theater Bonn erreicht er 1986 in der Titelrolle von Kleists „Amphitryon“ (Regie: Jossi Wieler) zum ersten Mal den Theatertreffen-Olymp der Berliner Festspiele. Die feinnervige Intelligenz, mit der Robert Hunger-Bühler seine Rollen gestaltet, und seine stupende Verwandlungsfähigkeit machen ihn natürlich zu einem begehrten Protagonisten für Regisseur*innen wie Andrea Breth, Luc Bondy, Klaus Michael Grüber, Claus Peymann, David Mouchtar Samorai, die mit ihren Inszenierungen Theatergeschichte schreiben. Mit ihnen und ihren Kolleg*innen aus Zürich arbeitet er u. a. an der Freien Volksbühne, der Schaubühne am Lehniner Platz und der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin, am Schauspielhaus Graz, am Wiener Burgtheater, am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, beim Kunstfest Weimar oder an den Münchner Kammerspielen. Bevor er in der legendären für die Expo 2000 in Hannover produzierten (später auch in Berlin und Wien gezeigten) zweiundzwanzig Stunden Inszenierung der beiden Teile von Goethes „Faust“ den Mephisto spielte, war er 1998 – ebenfalls unter der Regie von Peter Stein – in der Wiener Festwochen-Produktion des Theaters in der Josefstadt in „Die Ähnlichen“ von Botho Strauß als Teufel zu sehen. Nur jeweils ein klassisches (Schillers „Maria Stuart“ am Hans Otto Theater Potsdam), und ein zeitgenössisches Stück (Einar Schleefs „Die Bande“ an der Volksbühne Berlin) können hier stellvertretend für die Bühnensprache stehen, die Robert Hunger-Bühler für seine eigene Inszenierungen entwickelt hat. Kaum vorstellbar ist, dass der Schauspieler neben den vielen Theaterengagements auch noch Hörbücher eingesprochen und zwei Bücher (2001 „Mephisto: Ohne Licht, ohne Lärm. Aus dem Leben eines Schauspielers“, 2012 „Herzschlag–Zeit“ Haiku Gedichte) geschrieben hat. Von der anspruchsvollen Filmkarriere, die er vorweisen kann, müssen aus Platzmangel zwei Beispiele genügen: 2004 wird er auf dem internationalen Filmfest in Varna/Bulgarien als Bester Schauspieler für die Darstellung der Titelrolle in „Casanova“ ausgezeichnet; der mit ihm besetzte Film „Unter dir die Stadt“, wird 2010 bei den Filmfestspielen in Cannes uraufgeführt und gewinnt 2012 den Preis der deutschen Filmkritik. Und um eine aktuelle TV-Produktion zu erwähnen: In inzwischen sechs Folgen der Zürich-Krimis „Borcherts Fall“ steht er als Richter Suso neben Titelrollen-Anwalt Christian Kohlund vor der Kamera. 1990 spielte Robert Hunger-Bühler während seines Engagements am Theater Freiburg, dem Premierenort der Deutschsprachigen Erstaufführung von „Anne-Marie die Schönheit“, den Edmund in O’Neills „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ und den Prinzen in Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“ (Regie: jeweils Jürgen Kruse). Sechs Jahre vorher war er beim EURO-STUDIO Landgraf (eine Koproduktion mit den Bühnen der Stadt Bonn) in Dieter Wedels spektakulärer Inszenierung von Arthur Schnitzlers „Reigen“, als Dichter zu sehen.
Aktuelle Produktion: „Anne-Marie die Schönheit“

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Yasmina Reza

»Sie hat ein lebhaftes Gesicht mit Katzenaugen (…) und den Vornamen einer Prinzessin aus Tausend-und-eine- Nacht«, schreibt Marion Thébaud in Le Figaro über die Theater-, Roman- und Drehbuchautorin Yasmina Reza. die Tochter eines in Moskau geborenen, iranischen Vaters und einer ungarischen Mutter, wird 1959 in Paris in eine Künstlerfamilie hineingeboren. Ihre Mutter ist Violinistin, ihr Vater Musiknarr, der Bruder Komponist, die Schwester Kunsthändlerin. und Yasmina? Nach ihrem Abitur studiert sie zunächst Soziologie, wechselt dann aber zur Theaterwissenschaft. Schließlich vertauscht sie die Theorie mit der Praxis und absolviert an der Schule von Jacques Lecoq ihre Ausbildung zur Schauspielerin. Sechs Jahre lang spielt sie an verschiedenen Theatern in klassischen und zeitgenössischen Stücken. Während einer Tournee erwacht ihre Lust zu schreiben. Mit ihrem 1986 uraufgeführten ersten Theaterstück „Gespräche nach einer Beerdigung“ etabliert sie sich in Frankreich auf Anhieb als Dramatikerin und wird u. a. 1988 mit dem renommierten Prix Molière als Beste Autorin ausgezeichnet. Schon dieses Stück über drei Geschwister nach der Beerdigung des Vaters zeigt die Reza-typischen, treffsicheren Dialoge, die perfekt getimt auf eine unvermeidliche Eskalation der Situation zulaufen. Auch die genau beobachtete Unberechenbarkeit und Vielfalt verschiedenster Paar-, Quartett- oder Dreierkonstellation – Themen, denen sie treu bleiben wird – lotet sie bereits am Anfang ihrer Schriftstellerkarriere aus. Für ihr zweites 1988 uraufgeführtes Stück „Reise in den Winter“ über sechs Menschen in einem Schweizer Hotel wird sie ebenfalls mit dem Prix Molière geehrt. Ihr Drama „Jascha“ (UA 1993) sperrt sie für die Theater, nachdem sie es als Drehbuch für den mit Philippe Noiret, Stephane Audran u. a. hoch besetzten Film „Das Picknick von Lulu Kreutz“ umgeschrieben hat. der globale Reza-Hype setzt 1994 mit der Uraufführung ihres drei-Männer-und-ein-weißes-Gemälde-Stücks „»KUNST«“ ein. diese hinreißende Komödie, für die sie erneut den Prix Molière als Beste Autorin erhält, macht Reza weltweit zur meist gespielten Theaterautorin. Übersetzt in über 40 Sprachen triumphiert „»KUNST«“ in London und New York, ebenso wie in Moskau, Tokio, Tel Aviv, Budapest, Buenos Aires oder Madrid – um nur einige der vielen Metropolen zu nennen, in denen es aufgeführt wurde. Nach über 150 Inszenierungen allein im deutschsprachigen Raum seit der deutschsprachigen Erstaufführung 1995 in der Berliner Schaubühne am Lehniner Platz steht „»KUNST«“ auch heute noch auf vielen deutschsprachigen und internationalen Spielplänen. Außer dem begehrten Prix Molière wird dieses Erfolgsstück auch mit dem Laurence Olivier Award als Beste Komödie und dem Theater-OSCAR TONY Award als Bestes Stück ausgezeichnet. Nach dem zwei-Personen-im-zug-Stück „Der Mann des Zufalls“ (UA 1995) macht sich Yasmina Reza im Theater rar und schreibt zwei Romane: 1997 erscheint „Hammerklavier“, 1999 „Eine Verzweiflung“. zu einem vom Publikum geliebten und mit überschwänglichen Rezensionen gefeierten Bühnenereignis wird auch ihr nächstes Stück „Drei Mal Leben“ (UA 2000), drei Variationen des Zusammentreffens zweier Ehepaare, das sich jedes Mal anders gestaltet. Auf den 2003 erschienenen Roman „Adam Haberberg“ folgt 2004 die Uraufführung von „Ein spanisches Stück“ über fünf Schauspieler bei Proben zu einem neuen Stück, das vor allem von der deutschen Kritik begeistert aufgenommen wird. Am 14.11.2005 wird Yasmina Reza mit dem WELT-Literaturpreis ausgezeichnet, der von einer international besetzten Jury jedes Jahr an einen Autor vergeben wird, der mit seinem Werk international in besonderer Weise Anerkennung gefunden hat. im selben Jahr wird in Paris der Prosatext „Nirgendwo“ veröffentlicht, ein Jahr später „Im Schlitten Arthur Schopenhauers“ – eine Folge von Monologen zweier Frauen und zweier Männer – uraufgeführt. Auch ihr nächstes Stück ist wieder ein großer Theater-Hit: „Der Gott des Gemetzels“ (UA 2006) erobert wie „»KUNST«“ in kürzester zeit die Bühnen der Welt. Allein im deutschsprachigen Theaterraum wurde und wird es von über 90 Theatern gespielt, die vielen Amateurbühnen nicht mitgerechnet. Auch dieses Vier-Personenstück über zwei Ehepaare, deren Kinder sich in der Schule geprügelt haben, wird mit dem Laurence Olivier Award als Beste Neue Komödie und dem TONY Award als Bestes Stück ausgezeichnet. Roman Polanskis Verfilmung (2013) mit der internationalen Starbesetzung (Jodie Foster, Kate Winslet, Christoph Waltz, John C. Reilly; Drehbuch: Yasmina Reza) bringt ihr den französischen Film-OSCAR César ein. 2007 erscheint Rezas in Frankreich zum Bestseller gewordenes Buch „Frühmorgens abends oder nachts“, eine scharfsichtige Auseinandersetzung mit dem Präsidentschafts- Wahlkampf des damaligen französischen Innenministers Nicolas Sarkozy, den sie ein Jahr lang begleitete. 2010 verfilmt Yasmina Reza (Drehbuch und Regie) ihr Bühnenwerk „Ein spanisches Stück“ unter dem Titel „Chicas“. 2012 wird „Ihre Version des Spiels“ über eine spröde Schriftstellerin auf Lesereise am Deutschen Theater Berlin uraufgeführt. Für ihren Roman „Glücklich die Glücklichen“ erhält sie 2013 den Literaturpreis von Le Monde. die deutsche Übersetzung hält sich 2013 wochenlang in der SPIEGEL-Bestsellerliste. Am 15. Mai 2015 wird „Bella Figura“, eine Auftragsproduktion der Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin uraufgeführt. Rezas 2016 erschienener Roman „Babylon“ erhält die renommierten französischen Literaturpreise Prix Goncourt und Prix Renaudot. Rezas Inszenierung ihres Stücks „Anne-Marie die Schönheit“ wird am 5.3.2020 im La Colline-Théâtre National uraufgeführt. »Beim Schreiben dachte ich an den französischen Schauspieler André Marcon. Anne-Marie ist eine Frau, aber aus Gründen der Distanz und Allgemeingültigkeit wünsche ich, dass diese Figur von einem Mann interpretiert wird«. das Stück ist eine Hommage an eine Schauspielerin, die an ihren Glücksstern glaubt – eine kleine Große ihrer Kunst und grandioses Material für einen Schauspieler. im Januar 2021 bzw. 2022 ist in Frankreich und Deutschland Yasmina Rezas Roman „Serge“ veröffentlicht worden, in dem eine jüdische Pariser Familie nach dem Tod der Mutter nach Auschwitz reist, um sich erstmalig mit ihrer Familiengeschichte auseinanderzusetzen. Im November 2022 erhielt Reza den mit 10.000 Euro dotierten Prix de l’Académie de Berlin. Mit ihrem neusten Stück „James Brown trug Lockenwickler“, das im März 2023 am Residenztheater München in der Regie von Philipp Stölzl uraufgeführt wird, zeigt sich Reza von einer neuen Seite. Es handelt von Identität und Individualität, von einem jungen Mann, der sich für eine berühmte Sängerin hält, und seinem weißen Freund, der lieber Schwarz wäre, von einem hilflosen Elternpaar, von einer Psychiaterin, die Auto fährt, ohne die Bremse zu betätigen, und von einer Pflanze aus dem Regenwald in Konflikt mit dem europäischen Klima.

Aktuelle Produktionen: „Anne-Marie die Schönheit“, „James Brown trug Lockenwickler“

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