»Im Auditorium herrschte Stille, die die Energie eines Tornados hatte – es war, als wären alle dort mit Hu synchron«, berichtete Aakash Odedra als er Hu Shenyuan in „Under Siege“ („Im Belagerungszustand“) zum ersten Mal auf der Bühne sah. Hu hatte die in der Tradition der Peking Oper geschlechtsübergreifend von einem Mann gespielte Rolle der Konkubine Yu Ji interpretiert. In ihrer spektakulären Choreografie kombinierte die preisgekrönte chinesische Tänzerin und Choreografin Yang Liping, die durch Choreografien von Pina Bausch zu ihrem ersten Tanzstück inspiriert wurde, Elemente von Kung Fu, Peking Oper und Contemporary Dance. Die Handlung, der historische Krieg zwischen den Anführern der Chu und der Han-Streitkräfte im Jahr 206, ist durch den auf Motiven der Vorlage basierenden Film „Lebe wohl, meine Konkubine“ (1993) auch international bekannt. Nicht nur Odedra war begeistert, auch die Kritiker*- innen reagierten überschwänglich: »Ein fließender Stil zeichnet die Rolle des Konkubinen-Tänzers aus, der über eine raffinierte Technik verfügt« (Rachel Elderkin, THE STAGE, 4.11.2016), »Hu Shenyang ist überragend als sich selbstaufopfernde Konkubine« (Judith Mackrell, The Guardian,4.11.2016). An seine »außergewöhnliche und intensive Darbietung« erinnert sich die Kritikerin Lynette Halewood in ihrem Jahresrückblick an die Momente, die ihr von dem Londoner Theaterjahr 2016 am meisten im Gedächtnis geblieben waren (Lynette Halewood, DanceTabs, 2.1.2017). Seit der Uraufführung des Tanzdramas am 30.9.2015 im Rahmen des hochklassigen NCPA – Dance Festivals im Opernhaus Peking bis zu seinem Gastspiel am Londoner Sadlers Wells Theatre (2.- 5.11.2016) wurde Hu Shenyuan für die in dieser Rolle gezeigten überwältigenden tänzerischen Möglichkeiten über 400 Mal in China enthusiastisch gefeiert. Ein Jahr später feierte man sein »furioses Solo« (Michaela Preiner , European Kultural News, November 2017) auch bei der Erstaufführung im deutschsprachigen Raum am 12.11. 2017 im Festspielhaus St. Pölten. Die US-Premiere von „Under Siege“ im New Yorker Lincoln Center 2019 war »ein Höhepunkt des Festivals« (www.xinhuanet.com, 09.08.2019). Nach Hu Shenyuans Abschluss an der Tanzakademie der Zentralen Nationalitäten-Universität (Minzu University of China) in Peking-Beijing katapultierte ihn schon sein erstes Engagement bei der renommierten LDTX Dance Company (Beijing Dance Company, 2012-2014) in die oberste Tanzliga.
Die Jahre 2017 und 2018 wurden gleich mehrmals zu Glücksjahren für den jungen Künstler: Erstens wurde er für seine Choreografie „Nomaden“ („Nomadic“, auch „Roving“), die Grundrhyth- men des mongolischen Tanzes mit Contemporary Dance verbindet und von Menschen handelt, die ihr Zuhause freiwillig oder unfreiwillig verlassen und alle Bindungen aufgeben, von der Yang Liping Art Foundation gefördert. Zweitens gründete er sein eigenes Tanzstudio, das Hu Shenyang Studio (HU-HU DANCE). Drittens gewann er den Best Performance Award beim 4. Interna- tionalen Ballett- und Choreografie-Wettbewerb in Peking. 2018 war er Silbermedaillengewinner der 16. World Dance Championship International in Rom und erhielt auch den Sonderpreis des Jury-Präsidenten beim 15. Internationalen Tanzwettbewerb in Seoul. Hu Shenyuans Choreografie „ID, Ego and Super-Ego“ wurde als exemplarische Choreografie für das 4. China Youth Dance Talent-Trainingsprogramm ausgewählt. Für das 5. Dance Talent-Jugendprojekt kreierte er als Auftragsproduktion „The Moonlight Rain- bow“. Im Laufe der Zeit entstanden noch weitere Choreografien, u.a. „So Close”, „The Flower of Freedom“, „With“.
Aktuelle Produktion: „Samsara“
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Der britische Tänzer mit indischen Wurzeln blieb nicht nur in seiner Heimat Großbritannien, sondern auch weltweit nicht lange ein Geheimtipp und entwickelte sich – hoch gelobt von der Fachpresse – zum Publikumsmagneten und Shootingstar des zeitgenössi- schen Tanzes. Ausgebildet wurde der in Birmingham geborene Ausnahmetänzer und -choreograf in den klassischen indischen Tanzstilen Kathak und Bharat Natyam in Birmigham, Leicester und Mumbai sowie in Indo-Jazzdance bei der Bollywood-Tanz- und Choreografie-Ikone Shiamak Davar. 2009 trat Odedra im Rahmen des von Akram Khan kuratierten Svapngata Festivals am Londoner Sadler’s Wells Theatre mit dem Kathak-Solo „Maati Re“ auf.
Der renommierteTänzer und Choreograf Akram Khan regte als Odedras Mentor an, seine hohe Musikalität und sein Ausdruckspotential auch als Choreograf zu verwirklichen und dabei die Formen- sprache und Dynamik der internationalen Tanz-Avantgarde zu nutzen, um die formale Strenge des klassischen Kathak aufzubrechen und neu zu strukturieren. So kam es, dass Odedra 2012 als Tänzer am Londoner Royal Opera House mit dem von Khan für ihn geschaffenem Tanzsolo „In the Shadow of Man“ (Musik: Jocelyn Pook) debütierte und sich dort fünf Jahre später mit Ravi Shankars einziger Oper „Sukanya“ als Choreograf präsentierte. Shankars Tochter Anoushka war eine der Musikerinnen in „Mandala“, dem 2012 von Odedra zu verblüffenden 3D-Effekten gestalteten und zum Abschluss der Kultur-Olympiade der Olympischen und Paralympischen Spiele in London gezeigten Multi-Media-Spektakel. In den von 12.000 Zuschauern besuchten Open-Air- Vorstellungen verschmolz Odedra zwei Musik- und Bewegungswelten miteinander: die Techno-Beats und Power Moves der Hip Hop/ Street Dance Company Bboys Attic und die klassische Musik- und Tanztradition des asiatischen Kulturkreises. Am 18.5.2013 wurde am Theater Freiburg (Koproduzenten Theater Oberhausen und Goethe-Institut) das von Odedra choreografierte Bollywood-Musical „Gottes kleiner Krieger“ uraufgeführt. Das Libretto von Viola Hasselberg und Jarg Pataki (auch Regie) zur Musik von Ravi Srinivasam beruht auf dem auch bei uns hoch gelobten Roman des bekannten indischen Gegenwartsautors Kiram Nagarkar, der deutschsprachig zur Frankfurter Buchmesse 2006 erschien.
Dem vielseitigen Tanzerzähler Odedra gelang auch der Brückenschlag zum Theater. In Schulen zeigte er 2016 „Hanuman the Hero“, eine Show für Kinder über die hinduistische Affengottheit Hanuman. Als Odedra in „Murmur“ seine Legasthenie visualisieren wollte, gab seine Zusammenarbeit mit dem Forschungslaborteam des Linzer Ars Electronica Futurelab den ästhetischen Auslöser, um durch Technik-Mensch-Interaktionen virtuelle Bühnenwelten zu erschließen (Ko-Choreograf war der Australier Lewis Major, die Musik komponierte Nicki Wells). Schon bei der 2013 gezeigten Arbeitsversion beim Ars Electronica Festival in Linz erregten die spektakulären visuellen Überschneidungen, in denen Odedra z. B. gegen einen Papierhurrikan kämpft, großes Aufsehen. Mithilfe des Förderpreises des British Arts Council (2014) wurde eine kurz zuvor schon bei der Edinburgh Dance Edition gezeigte Fassung für das International Dance Festival in Birmingham noch einmal weiterentwickelt. Als spartenübergreifende Produktion choreografierte Odedra 2017 eine Theater-Adaption von Amana Fontanella-Khans millionenfachem Bestseller „Pink Sari Revolution“ über Sampat Pals »Gulabi Gang«-Protestbewegung. Der 2014 publizierte Roman der pakistanisch-indischen Autorin schildert den Kampf der pinkfarbig gekleideten Inderinnen für ihre Rechte. So wichtig das Tanzvokabular anderer Choreografen für Odedra war, so wichtig war es ihm, für sein Tanztheater „#JeSuis“ Neuland zu betreten, um sein überwältigendes Gespür für theatralische Situationen auszuloten.
Aktuelle Produktion: „Samsara“
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