Erinnerungen an den mit 81 Jahren gestorbenen Schauspieler und Regisseur Wolfgang Engel, der mit seinen anspruchsvollen Inszenierungen die Theaterlandschaft der DDR und des wiedervereinigten Deutschlands maßgeblich prägte.
von Birgit Landgraf
Mit seiner Inszenierung von „STELLA. Ein Schauspiel für Liebende“ hat er auch Tourneetheatergeschichte geschrieben. Erstmals wurde – durch seine Initiative – eine ursprünglich für das EURO-STUDIO Landgraf geplante Inszenierung nach dem Mauerfall als Produktion des Staatsschauspiels Dresden auf Tournee gezeigt und wurde so zu einem Sinnbild dieses kulturellen und gesellschaftlichen Aufbruchs.
Als Wolfgang Engels Inszenierung von „Penthesilea“ im Sommer 1989 als herausragendes Beispiel für seine vielgerühmte Fähigkeit, klassische Themen in die Gegenwart zu übertragen, zum Festival ‚Theater der Welt‘ nach Hamburg eingeladen wurde, fuhren wir nach Hamburg, um nach unseren Briefwechseln endlich einen der bedeutendsten Regisseure des DDR-Theaters (der in den 1980er-Jahren als Gastregisseur auch schon in Westdeutschland, am Wiener Burgtheater und am Zürcher Schauspielhaus gefragt war) persönlich kennenzulernen.
Obwohl wir wussten, dass – wie bei all seinen gefeierten Inszenierungen – nicht nur DDR-, sondern auch Westbesucher für Kleists Trauerspiel nach Dresden pilgerten, waren wir nicht vorbereitet auf die Engel-typische Intensität und psychologische Dynamik, durch die wir in den für Penthesilea und Achilles tödlich endenden Strudel aus Leidenschaft und Missverständnissen, immer tiefer hineingezogen wurden.
Nach diesem emotionalen Erlebnis waren wir bereit, JEDES Stück, das er uns zur Inszenierung vorschlagen würde – auch wenn wir es schrecklich gefunden hätten –, sofort zu unserem Lieblingsstück werden zu lassen.
Doch zu unserer Begeisterung schlug er „STELLA“ vor.
»Ich kann nur denken vom Heute aus. Egal, wie alt ein Text ist, fragen: Wohin zeigen die Figuren? Zeigen sie auf uns, dann wird es spannend«.
Dieses Zitat aus einem Interview könnte als Motto über all seinen legendären Inszenierungen klassischer Werke stehen, in denen er stets das Gegenwärtige suchte.
Dass dieses »Denken vom Heute aus« nach der Wende für ihn nicht nur inhaltlich eine neue Dimension erhielt, sondern auch die Fragen der Zeit aufnahm – wie begegnen sich Ost und West nach Jahrzehnten der Trennung? –, erfuhren wir bei unserem nächsten Treffen am 12. Februar 1990 in Dresden, als er uns mit dem Vorschlag überraschte, Goethes Trauerspiel in Zusammenarbeit mit dem Staatsschauspiel Dresden zu zeigen.
Welche alten Denkweisen sind überholt, welche müssen neu verhandelt werden? Weil er diese Fragen in seine Konzeption einfließen lassen wollte, hatte er sich entschieden, das tragische Ende der ersten Fassung mit der utopischen Dreiecksbeziehung der zweiten zu verschränken, um die Gegensätze beider Versionen nicht als Widerspruch, sondern als zwei untrennbare Facetten derselben Geschichte sichtbar zu machen.
Die Begeisterung über die Zusammenarbeit mit dem Staatsschauspiel Dresden brachte uns im Frühjahr 1992 natürlich in eine spielplantechnische Ausnahmesituation, denn die drei Hauptdarsteller – Katherina Lange (Stella), Susanne Böwe (Cäcilie) und Christoph Hohmann (Fernando) – spielten während der Tournee auch in Dresden Protagonistenrollen. Leider nicht nur in einem, sondern in mehreren Stücken. Für diese Vorstellungen musste die Tournee, einschließlich der An- und Rückreisetage, unterbrochen werden.
Doch der außergewöhnliche Erfolg dieser Maßstäbe setzenden Klassiker-Inszenierung ließ uns die vorausgehende aufwendige Planungsarbeit sofort vergessen.
Auch für „Kollaboration“, die zweite von Wolfgang Engel bis ins Detail wieder mit psychologischer Genauigkeit inszenierte Produktion des EURO-STUDIO Landgraf, entwarf Horst Vogelgesang eines seiner herausragenden Bühnenbilder.
Am Beispiel des Komponisten Richard Strauss und des jüdischen Autors Stefan Zweig bei ihrer Zusammenarbeit an der Oper „Die schweigsame Frau“ thematisiert das Stück des britischen Dramatikers Ronald Harwood die Verantwortung und Abhängigkeit von Künstlern in totalitären Systemen – ein Thema, mit dem sich Engel in seiner Arbeit zwangsläufig über Jahre hinweg auseinandergesetzt hat.
In der Begründung für die Auszeichnung der für die Spielzeit 2009/2010 mit dem 2. INTHEGA-Preis in der Kategorie Schauspiel hieß es:
»In Wolfgang Engels exzellenter Regie besticht ein hochkarätig besetztes Ensemble, das alle Textvarianten gekonnt und souverän auskostet und das Publikum in einer Gefühlslage zwischen amüsiertem Schmunzeln und wachsender Beklemmung beläßt. Mit dem herausragenden Peter Bause als Komponistengenie und politisch blindem Naiven und Matthias Freihof als verhalten agierenden Romancier stehen zwei Protagonisten zur Verfügung, die ein darstellerisches Feuerwerk abbrennen. Ihnen besonders ist es zu danken, dass „Kollaboration“ zu einer „Sternstunde des Tourneetheaters“ geworden ist wie die Presse schrieb. Das Publikum zeigte sich gepackt und aufgewühlt und dankte noch an jedem Spielort mit euphorischem Schlussapplaus«.
Matthias Freihof, Marlen Ulonska, Hellena Büttner und Peter Bause in „Kollaboration“ von Ronald Harwood. Foto: Dietrich Dettmann
»Wolfgang Engel verführte zum Denken, zum kollektiven Nachdenken über den Grundkonflikt so vieler Stücke, das Verhältnis des Einzelnen zur Gesellschaft«: »Wie das Menschsein durch Umstände, durch gesellschaftliche Verhältnisse beschädigt wird, danach habe ich immer gesucht, bei allen Stücken, die ich inszeniert habe«.
Janina Fleischer, Peter Korfmacher, Badische Zeitung/dpa, 11.3.2025.
Für das legendäre Kapitel der deutschen Theatergeschichte, das er geschrieben hat, wurde Wolfgang Engel 2011 mit dem Deutschen Theaterpreis »DER FAUST« für sein Lebenswerk geehrt.