Théâtre National du Luxembourg / EURO-STUDIO Landgraf
WARTE NUR, BALDE KÄNGURST AUCH DU!
Ein musikalisch-literarischer Ringelnatz-Abend
mit Ulrich Gebauer und Ralf Schink (Komposition, Piano, Laserharfe)
Premiere: 8. Dezember 2023, Théâtre National du Luxembourg
Termine auf Anfrage
Inhalt
Ulrich Gebauer (Aufsager) und Ralf Schink (Elfenbein) erhalten durch die Witwe von Joachim Ringelnatz, von ihm zärtlich Muschelkalk genannt, den Auftrag, dessen Wohnung in Wien aufzulösen. Was sie dort vorfinden, erleben Sie bei „Warte nur, balde kängurst auch du!“, einem musikalisch-literarischen Abend mit Gedichten aus dem reichhaltigen Vermächtnis, das uns Joachim Ringelnatz hinterlassen hat. Ulrich Gebauer singt, spielt und liest Gedichte, die allesamt musikalisch von Ralf Schink umgesetzt wurden. Gemeinsam gestalten die beiden Künstler liebevoll diesen wunderbaren, kurzweiligen Abend.
Ulrich Gebauer spielt, spricht und singt Joachim Ringelnatz
»Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt« – diese brillant formulierte Einsicht stammt von einem Meister des Sprachwitzes: Joachim Ringelnatz. Ob in seinen berühmten „Kuttel Daddeldu“ Seemannsliedern, den parodistisch-satirischen „Turngedichten“, in Sprüchen, Versen und Erzählungen, stets fasziniert Ringelnatz mit seiner einzigartigen Mischung aus kruder Spottlust, Sarkasmus, Zynismus und zarter Melancholie. Als Außenseiter, scharfsinniger Beobachter und literarischer Autodidakt verschaffte sich Ringelnatz einen festen Platz unter den bedeutenden Lyrikern des 20. Jahrhunderts. Erich Kästner gehörte zu seinen Förderern. Kein Wunder, dass sich der renommierte Theater- und TV-Darsteller Ulrich Gebauer und der Musiker Ralf Schink nach ihrem erfolgreichen Erich-Kästner-Programm „herzleid los“ für ihre neue musikalisch-literarische Collage Joachim Ringelnatz ausgesucht haben. Gebauers ausgezeichnete Textauswahl verspricht humorvoll-geistreiche Unterhaltung mit Ober- und Untertönen, die die ganze Skala der menschlichen Gefühle abschreitet, wenn er mal wehmütig, mal böse auf die Welt schaut und dabei stets lustvoll aus dem prallen Leben schöpft. Ralf Schinks musikalische Adaption der Texte schafft einen reichen Resonanzkörper voller Atmosphäre. Als überraschendes Extra verhilft Schinks Laserharfe dem Rhythmus der Sprache optisch zu einem Extra-Bühnenauftritt.
Joachim Ringelnatz (1883-1934), eigentlich Hans Gustav Bötticher, schlug sich nach seiner für ihn qualvollen Schulzeit und dem Rausschmiss aus dem Gymnasium als Seemann durch und bereiste 22 Länder. 1909 entdeckte er in München das Künstlerlokal Simplicissimus und der ›Simpl‹ ihn: Er wurde zum Hausdichter und begann Songs in der Tradition Villons, Groteskgedichte und zarteste Balladen zu veröffentlichen. Er zog freiwillig in den Ersten Weltkrieg. Später trat der Leutnant a.D. als Kabarettist und reisender Vortragskünstler deutschlandweit auf, u. a. im Berliner Kabarett Schall und Rauch. 1933 erhielt Ringelnatz von den Nazis Auftrittsverbot, seine Bücher wurden verbrannt. Er verarmte und starb im Jahr darauf an einer Lungenkrankheit.
Biografien
ULRICH GEBAUER
Ein Glücksfall: Gleich nach dem Schauspiel-Abschluss an der Universität der Künste in Berlin wurde Claus Peymann, Intendant des Schauspiels Stuttgart, wie ein Ziehvater für Gebauer. 1979 nahm Peymann ihn für sieben Jahre mit ans Schauspielhaus Bochum und anschließend für vier Jahre ans Burgtheater Wien. Weitere Engagements am Schauspielhaus Zürich und am Theater Basel… mehr
RALF SCHINK
Er wurde 1966 in Freiburg geboren, studierte zunächst an der Swizz Jazz School in Bern, dem Berklee College of Musik in Bosten und privat bei Karsten Gorzel, bevor er Musical Consultant für Yamaha und dann für die Roland Corporation wurde. Er hat zahlreiche Konzerte weltweit gegeben… mehr
DER AUTOR JOACHIM RINGELNATZ
Hans Gustav Bötticher heißt er eigentlich. Aber was ist schon ein Name, wenn man ein ganzes Leben mit Reisen und Reimen zu füllen hat?
Geboren wird er am 7. August 1883 im sächsischen Wurzen. Schon sein Vater versteckt sich hinter einem Namen, der nicht ganz seiner ist: Georg Bötticher schreibt humoristische Texte unter dem Pseudonym »C. Engelhart«. Ein gewisser Hang zur Wortakrobatik liegt ihm also in den Genen – und die Lust am Versteckspiel mit Identitäten gleich dazu.
Denn Böttichers Lebenslauf ist ein Abenteuerroman in Episodenform. Seine Berufe sind so vielfältig wie seine Themen: Schiffsjunge, Leichtmatrose, Kaufmannslehrling, Tabakladenbesitzer, Bibliothekar auf einem schlesischen Schloss, Fremdenführer auf einer Burg, Schaufensterdekorateur in München, Zeichner, Maler (in den 1920er Jahren wurde die Malerei für ihn zu einem zweiten beruflichen Standbein. Er stellte zusammen mit bekannten Künstlern wie George Grosz und Otto Dix aus), Kabarettist – und natürlich: Dichter.
Und das alles unter dem Namen »Joachim Ringelnatz«, wie er sich ab 1919 nennt.
Warum »Ringelnatz«? – das bleibt eines seiner Geheimnisse. Vielleicht wählt er ihn nach seinem Lieblingstier, dem Seepferdchen, das Seeleute liebevoll »Ringelnass « nennen. Fest steht: Das Seepferdchen hat er mit seinem leichten, schwerelosen, oft auch ein wenig traurigem Humor nicht nur oft bedichtet, sondern auch gezeichnet.
In seinem zart verspielten (erstmals 1928 in dem bei Ernst Rowohlt Verlag veröffentlichten Gedichtband „Allerdings“) Gedicht „Seepferdchen“ heißt es zu Beginn: »Als ich noch ein Seepferdchen war, I Im vorigen Leben, I Wie war das wonnig, wunderbar I Unter Wasser zu schweben…«
Auf der Bühne trägt er es mit tänzelnden Schritten vor – mit mehr Grazie, als man seinem schmächtigen, eher knochigen Körper zutrauen würde.
Zur See gefahren ist er übrigens wirklich: als Schiffsjunge und Leichtmatrose, bis ihn 1903 eine Sehschwäche zur Aufgabe zwingt. 1904 meldet er sich trotzdem freiwillig bei der Kaiserlichen Marine – denn wer das Meer liebt, den lässt es nicht mehr los.
Später wird aus dem Matrosen Ringelnatz seine berühmteste Figur: »Kuttel Daddeldu«. Ein Spötter mit Charme, ein Zauberer der Sprache – sein schalkhafter Zwilling. („Kuttel Daddeldu oder das schlüpfrige Leid“, der erste Gedichtband mit der Figur des Seemanns Kuttel Daddeldu, wird 1920 im Berliner Alfred Richard Meyer Verlag publiziert.)
Mit diesem philosophischen Seemann erobert er in den 1920er-Jahren im Matrosenanzug die Bühnen der Berliner Kabarettszene. Und das – trotz, oder besser: mit sächsischem Tonfall, den man bei den Ringelnatz-Gedichten immer ein bisschen mithören muss. Das Publikum liebt seine Mischung aus Witz, Wortspiel und satirischer Schärfe – und macht ihn zu einem Star der Weimarer Zeit.
Doch das Lachen wird zum Risiko.
Es verstummt 1933 mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Man entzieht ihm die Auftrittserlaubnis in Städten wie Hamburg und München. In Dresden wird er sogar während einer Vorstellung von der Bühne geholt. Viele seiner Bücher werden beschlagnahmt oder am 10. Mai 1933 auf dem Scheiterhaufen der »Aktion wider den undeutschen Geist« verbrannt.
Die Einstufung als »entarteter Künstler« führen zu finanzieller Not. Durch die Mangelernährung verschlechtert sich seine Gesundheit zusehends. 1934 wird er ins Tuberkulosekrankenhaus Waldhaus in Charlottenburg eingeliefert. Freunde und Unterstützer organisieren Spendenaktionen, um ihm den Aufenthalt dort zu ermöglichen. Trotz aller Bemühungen stirbt Joachim Ringelnatz am 17. November 1934 im Alter von nur 51 Jahren.
Der private Joachim Ringelnatz
Verheiratet ist Ringelnatz seit 1920 mit der Lehrerin Leonharda Pieper, die er liebevoll »Muschelkalk« nennt. Der ungewöhnliche Kosename, der sich auf eine geologische Formation bezieht, die für ihre Härte bekannt ist, taucht erstmals in einem Brief auf, in dem er sie »muschelverkalkte Perle« nennt. Die erste öffentliche Erwähnung des Begriffs »Muschelkalk« findet sich in seinem Gedicht „Ansprache eines Fremden an eine Geschminkte vor dem Wilberforcemonument“, das 1924 im Band „Kuttel Daddeldu oder das schlüpfrige Leid“ veröffentlicht wird. Darin heißt es:
»Ich habe auch kein richtiges Herz. I Ich bin nur ein kleiner, unanständiger Schalk. I Mein richtiges Herz. Das ist anderwärts, irgendwo. I Im Muschelkalk.«
Seine Ehefrau unterstützt ihn in dieser schwierigen Zeit nicht nur emotional, sondern organisiert auch seinen Alltag und begleitet als inspirierende Muse seine künstlerische Arbeit. Sie kümmert sich um seine Korrespondenz und Manuskripte.
Nach seinem Tod im Jahr 1934 verwaltet sie seinen Nachlass und trägt maßgeblich dazu bei, dass sein Werk nicht in Vergessenheit gerät. Gemeinsam mit dem Schriftsteller Hans Siemsen gibt sie 1935 den Band „Der Nachlaß“ im Rowohlt Verlag heraus. Obwohl Ringelnatz’ Werke zu dieser Zeit von den Nationalsozialisten verboten sind, gelingt es, diesen Band zu veröffentlichen. Siemsen, der sich bereits im Exil befindet, beteiligt sich anonym an der Herausgabe.
Zusammen mit Ringelnatz’ Freunden und Weggefährten Gerhard Schulze und Karl Hildebrand Silomon stellt sie das Buch „In memoriam Joachim Ringelnatz“ zusammen, das 1937 als Privatdruck von Gerhard Schulze in einer Auflage von 500 Exemplaren in Leipzig veröffentlicht wird. Es enthält biographische Notizen, unveröffentlichte Gedichte und Erinnerungen von Freunden, die durch ihre Beiträge das Andenken an den Dichterbewahren wollen.
Nach dem Krieg arbeitet Leonharda Pieper beim Henssel-Verlag in Berlin, der mehrere Werke von Ringelnatz neu auflegt. Gemeinsam mit ihrem Sohn aus zweiter Ehe, dem Schauspieler, Rezitator und Synchronsprecher Norbert Gescher, engagiert sie sich für den Nachlass. 2019 schenkt Gescher die vielen Fotos, Gemälde und Manuskripte seines Stiefvaters dem im November 2002 eröffneten Joachim-Ringelnatz-Museum in Cuxhaven.
Wieso gibt es ein Museum in Cuxhaven?
Während des Ersten Weltkriegs ist Joachim Ringelnatz als Marinesoldat in Cuxhaven stationiert.
Mit seinem 1928 im Berliner Ernst Rowohlt Verlag veröffentlichten, autobiografischen Erinnerungsbuch „Als Mariner im Krieg“ dokumentiert er in tagebuchartiger Form seine Zeit als Kommandant eines Minensuchbootes bei der Kaiserlichen Marine – von Beginn des Ersten Weltkriegs am 1. August 1914 bis zum Ende seiner Dienstzeit kurz nach Ausbruch der Novemberrevolution, am 29. November 1918. Durch seine wenig heroische Darstellung setzt er bewusst einen Kontrapunkt zum zunehmenden Rechtsruck der Weimarer Republik.
Für die Bewohner in Cuxhaven ist dieses Werk nicht nur ein historisches, sondern – wie sein Gedicht „Ich komme und gehe wieder“ – ein lokales Zeitdokument, da Ringelnatz darin auch über seine Freundschaften mit Cuxhavener Familien berichtet.
Veröffentlicht ist das 3004 Seiten umfassende Werk in: Joachim Ringelnatz: Das Gesamtwerk in sieben Bänden, hrsg. von Walter Pape, Diogenes Verlag, Zürich 1994.