Judith Rosmair spielt Theresia Walsers Monolog „Endlose Aussicht – Ferien auf dem Seuchendampfer“
Michael Helbing (Thüringer Allgemeine, 06.09.2020)
Weimar. Ein Harald-Juhnke-Bonmot erlebte im Corona-Frühjahr neue Konjunktur: „Meine Definition von Glück? Keine Termine und leicht Einen sitzen.“ Insofern müssten wir uns Jona als glücklichen Menschen vorstellen. Doch weit gefehlt. „Das ganze Unglück der Menschheit“, erklärt uns Jona, „rührt daher, dass es der Mensch nicht mit sich allein in einem leeren Zimmer aushält.“ Genau das aber ist die Aufgabe. Jona – das verweist auf den biblischen Propheten, den ein Wal verschluckte. Doch sehen wir hier eine alleinstehende Frau, die von der Zeit verschluckt wird. Jona befindet sich auf Kreuzfahrt, 32 Kondome im Gepäck. Zehn Tage Karibik. Jetzt sind‘s schon zwanzig. Mindestens. Und von 3228 Passagieren sind drei schon tot. Die „Tamburin“ ist ein trunkenes Schiff, aber „kein gesundes“. Sie liegen vor Bora Bora und haben die Lungenpest an Bord. Alle in Quarantäne. Jona in der Innenkabine. „Zehn Quadratmeter ohne Fenster.“
Trotzdem heißt der Abend „Endlose Aussicht“. Weil die Aussichten trübe sind, kein Ende absehbar. Deshalb ist diese lakonische Suada gespickt mit unvollendeten Sätzen. Die Schauspielerin geht darüber, in Morgenmantel und Pyjama, hinweg. Sie erlaubt sich kein Stocken, kein Innehalten. „Ich muss reden“, sagt sie. „Einfach reden.“ Aber: „Nichts Ernstes. Bloß nichts Ernstes. Bei Gott!“
Das ist, nach Falk Richter und Sibylle Berg, ein weiterer Corona-Monolog für die Freilichtbühne des Weimarer Kunstfestes in der Alten Feuerwache. Dramatikerin Theresia Walser hat diese „Ferien auf dem Seuchendampfer“, so der Untertitel, verfasst und gemeinsam mit Schauspielerin Judith Rosmair inszeniert. Videokünstler Theo Eshetu steuert betörende Unterwasserbilder bei. Wasser kam zur Uraufführung aber auch von oben; es regnete mitunter, was für Rosmair ein größeres Problem war als fürs beschirmte Publikum, aber beherrschbar blieb.
Ein bisschen zu beherrschbar bleibt hier auch der kunstvoll gebaute Text. Er lässt Jonas Gedanken sich im Kreis drehen, in der Ellipse, schließlich in einer Spirale: Kabinennachbarn, Familie, Arbeit. Fressen, Saufen, Brechen. Der Kapitän, der Nachtportier. Der alltägliche Wahnsinn einer Kreuzfahrt und deren sich potenzierende Absurditäten in der Not. Bis diese Gedanken, bei viel Weißwein und täglich einem Ei, aus ihrer Umlaufbahn fliegen. In dieser doppelt vereinsamten Existenz könnte eine Tragik liegen, aus der die Komik herausbricht. Walser und Rosmair indes lassen nie einen Zweifel an ihrer Form und lassen das komödiantische Psychogramm raushängen. In diesem Sinne bewegt sich Rosmair stets auf des Textes Höhe. Leicht hysterisch, fast schon panisch, immer unruhig bei „so viel Ruhe“, macht sie ein großes Vergnügen daraus. Ihn in der Schwebe zu halten und zum Kippen auf die eine oder andere Seite zu bringen, vermag sie grundsätzlich ganz gewiss auch. Das aber tut sie hier leider nicht.
Weitere Vorstellungen: Mittwoch, 9. September, und Freitag, 11. September, jeweils 20.30 Uhr.